Karl Nolle, MdL
TAZ - Die Tageszeitung, 17.01.2002
Sag zum Abschied lautstark "Aua!"
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf scheidet im April vorzeitig aus dem Amt und tritt zuvor noch mal kräftig nach: Gegen seine eigene Partei und gegen seinen potenziellen Nachfolger Milbradt, den er zuvor als Minister entlassen
DRESDEN. "Der dickscht", der spielt beleidigte Leberwurst, würde der sächsische Volksmund sagen, wenn er die Art und Weise miterlebt hätte, wie Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gestern vor der CDU-Landtagsfraktion und Journalisten seine Rücktrittsankündigung verlas. Dieser Rückzug wird nun definitiv vor der Bundestagswahl im Herbst erfolgen.
Aber nicht der bereits erwartete und gestern bestätigte Termin 18. April überraschte. An diesem Tag findet eine turnusmäßige Landtagssitzung statt, auf der ein Nachfolger gewählt werden kann. Es war vielmehr die Schärfe, mit der Biedenkopf seine eigene Partei demontierte und den Landesvorsitzenden und von ihm vor Jahresfrist entlassenen CDU-Finanzminister Georg Milbradt angriff.
Diese allein in Ministerpräsidenten-Kompetenz liegende Entscheidung habe die CDU offenbar nicht akzeptieren können, so Biedenkopf. Es sei ein "einmaliger Vorgang", dass ein entlassener Minister anschließend zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Biedenkopf hat offensichtlich nicht verkraftet, dass ihm das lange vernachlässigte Nachfolgeverfahren aus der Hand genommen wurde. Auch gestern betonte er wieder, keine Namen nennen zu wollen. Zugleich aber hat er den Mehrheitstrend in der Sachsen-CDU zugunsten Milbradts nicht akzeptieren können. Als Affront empfand er Milbradts Aufforderung im letzten Vier-Augen-Gespräch am 13. Dezember, sein Amt niederzulegen. Seither herrschte offenbar Funkstille zwischen beiden. Diesen Rücktrittsantrag könne niemand stellen, der selbst auf seinen Stuhl wolle, sagte Biedenkopf gestern.
Die Affären des vergangenen Jahres seien nicht ausschlaggebend für seinen vorzeitigen Rückzug, betonte der scheidende Ministerpräsident. Als letzte politische Vorhaben benannte er den Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit den Hochschulen und die Novellierung des sächsischen Kulturraumgesetzes.
"Eine Demontage seiner Union und Milbradts, wie wir sie kaum besser hinbekommen hätten", kommentierte PDS-Landtagsfraktionschef Peter Porsch den Auftritt Biedenkopfs. An Stelle des erwarteten Schubs für einen Nachfolger hat der vergnatzte "Landesvater" seiner Partei nun einen dicken Knüppel zwischen die Beine geworfen. Wer ihn aus Nordrhein-Westfalen noch kannte, prophezeite ohnehin "verbrannte Erde" nach Biedenkopfs Abgang.
"Ein schrecklicher Mann", entfuhr es Sachsens Datenschutzbeauftragten Thomas Giesen, der sich betroffen um seine CDU sorgt. Dieser Mann kenne nur drei Prinzipien: "Kurt - Hans - Biedenkopf!"
Eine halbe Stunde nach Biedenkopfs Auftritt erklärte Parteichef Georg Milbradt indes seine Absicht, sich um das Amt des Ministerpräsidenten zu bewerben. Er vermied jedes böse Wort über Biedenkopf und dankte im Gegensatz zu Biedenkopf der gesamten Landespartei.
"Milbradt hat Kreide gefressen, um nicht als Königsmörder dazustehen", wird seit Jahresfrist die Strategie des potenziellen Nachfolgers kolportiert. Frühestens in vier Wochen muss nun ein Sonderparteitag den Kandidaten küren. Wählen muss ihn allerdings der Landtag, mit einer Mehrheit von mindestens 61 Stimmen. Dies scheint trotz der 76-köpfigen CDU-Mehrheitsfraktion derzeit noch nicht gesichert. Die sächsische SPD müht sich indes, ihren internen Streit um die von Fraktionschef Thomas Jurk geforderten Neuwahlen beizulegen. "Angesichts eines mindestens 20-prozentigen Biedenkopf-Bonus bei der Landtagswahl 1999 wäre das nach seinem Rückzug die fairste Lösung", meinte gestern die SPD-Landesvorsitzende Constanze Krehl. Laut einer Emnid-Umfrage unterstützen Biedenkopf immer noch 64 Prozent der Sachsen.
Wegen der Animositäten der SPD gegenüber der PDS scheidet eine rot-rote Alternative für Sachsen vorerst aus. Die PDS verspricht sich daher von Neuwahlen nichts. "Das ist die Stunde des gewählten Parlaments", so Fraktionschef Porsch.
(Michael Bartsch)