Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 23.01.2002
Der Taktierer
Finanzminister Thomas de Maiziére ist der Einzige, der sich eine Kandidatur gegen Milbradt offen hält - möglicherweise ein abgekartetes Spiel
DRESDEN. Alle haben sie abgesagt: Steffen Flath, Matthias Rößler, Stanislaw Tillich. Klar und unzweideutig. Gegen CDU-Chef Georg Milbradt wagt keiner eine Kampfkandidatur um die Biedenkopf-Nachfolge. Die Geschlossenheit von Fraktion und Partei sei in der augenblicklich schwierigen Phase besonders wichtig. Zu eindeutig war das Votum des Glauchauer Parteitages im September, wo sich der von Biedenkopf ungeliebte Ex-Finanzminister durchsetzte.
Nur einer hält sich bedeckt: der amtierende Finanzminister Thomas de Maiziere. Immer wieder wird er als möglicher Gegenkandidat zu Milbradt genannt. Doch jedes Gespräch zu dem Thema lehnt er ab. Seinem Sprecher war bislang lediglich ein gestelzter Satz zu entlocken: "Der Minister hält es für richtig, interne Gespräche mit allen Beteiligten zu führen, um im Rahmen des in Glauchau festgelegten Verfahrens eine möglichst breite Basis für eine Nachfolgeregelung zu finden." Gestern wurde die Sprachregelung noch einmal wiederholt. Bewusst nährt de Maiziere dadurch Spekulationen, er könne als Kandidat zur Verfügung stehen. Immer wieder raunt es nämlich durch die Fraktion, irgendwann werde sich irgendwer bereit erklären, dem Wunsch Biedenkopfs zu entsprechen. Bei einem Waldspaziergang kurz vor Weihnachten hatte der Noch-Ministerpräsident mit de Maiziere über eine Kandidatur gesprochen.
Seitdem konzentriert sich die Hoffnung der Milbradt-Skeptiker in der CDU auf den 48-Jährigen. Auffällig oft lobt Fraktionschef Fritz Hähle die reibungslose Zusammenarbeit mit ihm. Und wohl nicht ohne Hintergedanken druckte eine regierungsfreundlichen Regionalzeitung eine lange Grundsatzrede des Finanzministers am Tag nach Biedenkopfs Rücktrittsankündigung. Vor allem im Apparat der Staatskanzlei glauben viele, durch de Maiziere ihre behagliche Machtposition behalten zu können.
Wer ist also dieser Mann, der neben Milbradt als Einziger noch für die Biedenkopf-Nachfolge in Frage kommt? Für einen Politiker verlief seine steile Karriere denkbar ungewöhnlich. Noch nie hat er sich zur Wahl gestellt, noch nie eine Kampfkandidatur in eigener Sache durchgestanden. Weder für einen Stadtrat, einen Kreis-, Land- oder den Bundestag. In seiner Zeit als Chef der Staatskanzlei in Schwerin wollte er lediglich einmal für den Kreisvorsitz der CDU kandidieren. Ein nicht einmal über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Politiker machte ihm den Posten streitig. De Maiziere gab sich freiwillig mit dem Vize-Vorsitz zufrieden.
Auch in Sachsen spielte er mit dem Gedanken, sich für den Kreisvorsitz seiner Partei in der Landeshauptstadt zu bewerben. Doch als ihm ein leichtes Lüftchen entgegenwehte, gab er den Gedanken wieder auf. Ein Kämpfer ist de Maiziere eben nicht, eher ein Taktierer. Kritiker werfen ihm vor, dass bei allen taktischen Überlegungen die Grundsätze zuweilen auf der Strecke blieben.
So richtig wisse man nie, woran genau man bei ihm sei, meint ein hoher Beamter des Dresdner Finanzministeriums über ihn. Stets sei er freundlich, habe ein Lächeln auf den Lippen. Doch das reiche eben nicht aus, um Menschen für sich einzunehmen und ihre Bereitschaft zu wecken, für einen durchs Feuer zu gehen. Ein früherer Mitarbeiter der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommerns beschreibt ihn als "unwahrscheinlich begabten Kopf", der überaus lernfähig sei. Diese Eigenschaften könnten sich am besten in kleiner Runde mit Beamten entfalten, wenn Detailwissen gefragt sei. Allerdings lasse er seine intellektuellen Fähigkeiten gerne die Untergebenen spüren, was diese ihm als Arroganz auslegen würden. Zudem sei er kein Volkstribun oder gar ein Menschenfischer, zu dem die Leute auf der Straße schnell Vertrauen fassen könnten.
Wenn heikle Situationen in der Schweriner Politik bevorstanden, hörte man de MaiziSre häufig entschuldigend sagen: "Ich habe einen Ruf zu verlieren." Und keiner wusste so recht, ob er dabei an seinen im Westen bekannten Vater Ulrich, den langjährigen Generalinspekteur der Bundeswehr, seinen im Osten noch berühmteren Vetter Lothar oder an sich selbst dachte.
Nichts charakterisiert de Maiziere wohl so gut wie die Tatsache, dass er nach dem Rausschmiss seines Vorgängers zwischen der Freundschaft zu Milbradt und der Loyalität zum Ministerpräsident zu entscheiden hatte. Denn ausgerechnet mit Milbradt verbindet ihn eine lange politische Freundschaft. Während Münsteraner Studientagen engagierten sich beide beim CDU-nahen Ring christlich demokratischer Studenten. Und Milbradt war es auch, der sich bei Biedenkopf dafür stark machte, de Maiziere 1998 aus Schwerin nach Dresden zur Vorbereitung der Solidarpakt-Verhandlungen zu holen. Dennoch: In den ersten Monaten nach Milbradts Entlassung sprachen die beiden überhaupt nicht mehr miteinander. Schließlich war sein Vorgänger zur Unperson geworden. Und enttäuscht waren Mitarbeiter des Finanzministeriums, als sie ihr Chef auf dem Höhepunkt von Biedenkopfs Putzfrauen-Affäre nicht vor ungerechtfertigten Angriffen der Staatskanzlei in Schutz nahm.
Inhaltlich ließ de MaiziSre jedoch keine Gelegenheit aus, die Arbeit Milbradts zu loben. Politisch sind ohnehin zwischen beiden keine Unterschiede zu erkennen. Allerdings steht de Maiziere noch die erste große Bewährungsprobe bevor: Er muss im Sommer einen Haushalt durchbringen und wird dabei feststellen, dass die Freundschaft zur Fraktion nicht allzu belastbar ist, wenn es ums Geld geht.
In den vergangenen Monaten hat de MaiziSre häufig das Gespräch mit Milbradt gesucht. Dabei soll es nicht nur um Fachfragen gegangen sein. Niemals ist er in seiner Karriere ein unkalkulierbares Risiko eingegangen. Doch bei einer Kampfkandidatur gegen den Parteivorsitzenden würde er seine politische Existenz aufs Spiel setzen. Denn de Maiziere ist nicht durch ein Mandat im Landtag abgesichert. Auf Gedeih und Verderb hängt er vom Wohlwollen des künftigen Ministerpräsidenten ab.
Aus all dem erwächst die Frage, welch taktische Hintergedanken de Maiziere mit seiner virtuellen Kandidatur im Schilde führt. Möglicherweise ist das Ganze ein abgekartetes Spiel zwischen den einstigen Freunden: De MaiziSre bündelt die Abgeordneten, die noch eine Rest-Loyalität zu Biedenkopf haben, um dieses Lager kurz vor der Wahl geschlossen Milbradt zuzuführen. Seine eigene Stellung im Kabinett wäre gestärkt, die Einheit der Partei wieder hergestellt.
(Christian Striefler)