Karl Nolle, MdL
Pressemitteilung, 03.04.2002
NOLLE: Chance ergreifen - Wehrpflicht abschaffen
SPD Landtagsabgeordneter wendet sich mit einem offenen Brief an die Sächsische SPD Landesvorsitzende, Constanze Krehl, die SPD-Initiative zur Abschaffung der Wehrpflicht zu unterstützen.
Mit einem Offenen Brief und der Bitte, die Initiative von drei SPD-Landesverbänden zur Abschaffung der Wehrpflicht zu unterstützen, wandte sich heute der Sächsische Landtagsabgeordnete Karl Nolle (selbst Obergefreiter der Reserve) an seine Landesvorsitzende.
NOLLE: „Es ist, angesichts der mangelnden Wehrgerechtigkeit bei der heute praktizierten Wehrpflicht, bei der eher die Ersatzdienstleistenden als die Wehrpflichtigen dienen müssen, an der Zeit den heutigen Sinn der Wehrpflicht grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Auch der Blick nach Europa zeigt, dass es auch ohne Wehrpflicht geht. Die Wehrpflicht ist in fast allen unserer Nach-bar und Partnerländer ein Auslaufmodell. Die im Entstehen begriffene europäische gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik entsteht ohne die allgemeine Wehrpflicht.“
NOLLE: „Nachdem die Landesvorsitzenden der SPD in Badenwürtemberg, Ute Vogt, dem Saarland, Heiko Maas, von Thüringen, Christoph Matschie sowie dem Bundesvorsitzenden der Jusos, Niels Annen, den Aufruf „Chance ergreifen – Wehrpflicht abschaffen“ unterstützen, bitte ich meine Landesvorsitzende, Constanze Krehl herzlich, dieser Initiative für Sachsen beizutreten.“
NOLLE: „ Nach meinen Informationen ist in den nächsten Tagen mit zunehmender Unterstützung dieser Initiative von jungen Sozialdemokraten aus den Reihen der Bundestagsabgeordneten, Bundesminister und anderen Landesverbänden zu rechnen. Da sollte die sächsische SPD im In-teresse der Jugend nicht abseits stehen.“
gez. KARL NOLLE, MdL
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Anlage:
Dokumentation Thesenpapier
Chance ergreifen- Wehrpflicht abschaffen !
Zwölf Jahre nach dem Vollzug der deutschen Einheit, 12 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und drei Jahre nach der ersten Osterweiterung der NATO ist die Bundesrepublik Deutschland von Freunden umgeben. Das klassische Bedrohungsszenario ist entfallen.
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik fand statt vor dem Hintergrund des "Kalten Krieges" und klassischer Angriffs- und Verteidigungskriege, die mit Armeen großer Truppenstärke geführt wurden. Nur dieses Szenario konnte den tiefen Eingriff in die individuelle Freiheit junger Männer durch die allgemeine Wehrpflicht rechtfertigen. Das Grundgesetz sieht daher die Wehrpflicht nur im Zusammenhänge der Landesverteidigung.
Weltweite Einsätze zur Krisenvorsorge und Krisenbewältigung reichen nicht aus, um die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht zu begründen. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre haben eindrücklich bewiesen, dass hier ganz andere präventive und militärische Fähigkeiten verlangt werden, als die einer Wehrpflicht. So spielen die Wehrpflichtigen heute auch für die wesentlichen Aufgaben der Bundeswehr in der Praxis keine Rolle mehr.
Die Wehrpflicht hat in Deutschland ihre Legitimation verloren.
Zurecht fragen deshalb junge Männer auf welcher Grundlage ihre Freiheitsrechte für die Dauer des Wehrdienstes eingeschränkt werden. Sie fragen, wieso ihre Ausbildung, ihr Beruf und ihre persönliche Lebensplanung hinter den Dienst an der Waffe zurücktreten müssen.
Sie fragen dies aber auch vor dem Hintergrund, dass in Deutschland in der Realität keine Wehrgerechtigkeit mehr existiert. Durch die Verkürzung des Wehrdienstes wird sich diese Situation noch weiter verschärfen. Es wird dem Zufall überlassen werden, wer nachher seinen Dienst mit der Waffe leisten muss. Junge Män-ner fragen sich: "Wieso gerade ich?". Besonders benachteiligt sind übrigens jene Männer, die den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern. Sie müssen fast immer ihren Dienst leisten.
Die Wehrpflicht hat in den Augen der jungen Generation ihre Legitimation verloren.
Inzwischen ist der zivile Ersatzdienst zu einem der wichtigsten Argumente für die Wehrpflicht geworden. Wir halten dies für eine unglaubliche Fehlentwicklung. Richtig ist, dass die Aussetzung der Wehrpflicht einen großen Bedarf an Planstellen in wesentlichen Bereichen des Sozialstaats schaffen wird. Die begrenzte Einsatzfähigkeit der ZDL, in manchen Fällen auch ihre mangelnde Motivation und das fehlende Know-how setzen einem effektiven Einsatz erhebliche Grenzen. Viele Zivildienststellen ließen sich daher durch sozial-versicherungspflichtige Arbeitskräfte ersetzen.
Insgesamt geht es aber auch darum, eine Kultur der Freiwilligkeit zu fördern und die Voraussetzungen für ehrenamtlichen Engagement zu verbessern. Das freiwillge soziale und das freiwillige ökologische Jahr müs-sen wir für junge Menschen attraktiver gestalten. Konkrete Vorteile, wie die Anrechenbarkeit bei Wartezeiten für das Studium und für die Rente, sollten dabei angegangen werden..
Aber auch die Wehrpflichtigen-Armee selbst ist verschlingt riesige Summen Geld. Jahr für Jahr. Inzwischen leugnen nicht einmal weite Kreise der Bundeswehrführung, dass die Beibehaltung der Wehrpflicht und die Wahrnehmung der neuen Aufgaben der Bundeswehr auf Dauer nicht gleichzeitig zu finanzieren sein wer-den. Die Umstrukturierung der Bundeswehr und der Aufbau einer europäischen Verteidigungspolitik bieten weitreichende Einsparmöglichkeiten, die es auch mit der Abschaffung der Wehrpflicht zu nutzen gilt.
Die Wehrpflicht hat vor dem Ziel der langfristigen Generationengerechtigkeit keine Legitimation.
Die SPD hat sich in ihrer Geschichte stets dem Ziel verschrieben, die die jeweilige Armee fest in einer de-mokratischen Gesellschaft zu verankern und den Soldaten dabei ihre wichtigsten Grundrechte zu gewähren. Die Verankerung des Prinzips der Inneren Führung und die Einbindung der Bundeswehr als Parlamentsar-mee sind Erfolge dieser Politik.
Die Befürworter der Wehrpflicht führen gern ins Felde, dass nur die allgemeine Wehrpflicht extremistischen Tendenzen in der Armee vorbeuge und den demokratischen Charakter des Militärs gewährleiste. Dabei hat die Wehrpflicht in der deutschen Geschichte weder die Teilnahme am ersten noch am zweiten Weltkrieg verhindert.
Heute ist die Bundeswehr mehr in der Gesellschaft verankert als fast jede vergleichbare Wehrpflichtarmee. Das Deutschland ist nicht mehr das Deutschland der Weimarer Republik. So läuft die SPD jetzt Gefahr, diese Erfolge klein zu reden, wenn sie aus sachfremden Gründen an der Wehrpflicht festhält.
Die Wehrpflicht hat ihre historische Legitimation verloren.
Auch das häufig vorgetragene Argument, nur über die Wehrpflicht lasse sich ausreichend ausgebildetes und motiviertes Personal für die Bundeswehr rekrutieren, kann angesichts der sicherheitspolitischen Lage in Europa nicht verfangen. Es wird wohl niemand die Aussetzung von Grundrechten ernsthaft mit der, im übri-gen auch in der Bundeswehr selbst höchst umstrittenen, These der besseren Rekrutenwerbung begründen wollen.
Der Blick nach Europa zeigt, dass es auch ohne Wehrpflicht geht. Die Wehrpflicht ist in fast allen unserer Nachbar und Partnerländer ein Auslaufmodell. Die im Entstehen begriffene europäische gemeinsame Au-ssen- und Sicherheitspolitik entsteht ohne die allgemeine Wehrpflicht.
Die Wehrpflicht verliert gegenwärtig in Europa mehr und mehr an Legitimation.
Die SPD läuft Gefahr, nicht nur eine Politik fortzusetzen, die ihrer eigentlichen Gründe beraubt wurde. Dies ist fragwürdig. Wir befürchten, dass die SPD so das Vertrauen von jungen Männern verliert, denen sich der Sinn der Wehrpflicht mehr erschließt.
Wir, als junge Generation sozialdemokratischer Politikerinnen und Politiker fordern daher einen mutigen Schritt. Sagen wir den Menschen, was sie nach dem 22. September von der SPD zu erwarten haben.
Schaffen wir die Wehrpflicht ab!