Karl Nolle, MdL
Berliner Morgenpost, 19.06.2001
König in der Klemme
Affären rütteln am Thron von Sachsens Regierungschef Kurt Biedenkopf. Der wird das Zepter wohl früher abgeben als geplant
DRESDEN. Karl Nolle liebt das direkte Wort. "Kurt Biedenkopf", sagt er, "ist ein Fall für Psychiater und Gerontologen". Zufrieden lehnt sich der schwergewichtige Sozialdemokrat nach einem solchen Satz zurück, als wolle er dessen Nachklang genießen. Nolle ist Druckerei-Unternehmer, Kunst-Mäzen, hat einen Sitz im Landtag und gilt bei den Christdemokraten im Freistaat Sachsen als Dreckschleuder und Kampfmaschine der SPD, deren einziges Ziel es ist, den verdienstvollen Ministerpräsidenten Biedenkopf zu stürzen. Gestern hat Nolle Strafanzeige gegen den Regierungschef wegen des Verdachts der Untreue erstattet, weil es nicht rechtens sei, dass Biedenkopf sein Privathaus in Bayern von sächsischer Polizei schützen lässt.
Es sind bewegte Zeiten in Dresden. Und keiner weiß derzeit, wann wieder Ruhe einkehrt in der Landeshauptstadt. Nur eines scheint gewiss: So lange Kurt Biedenkopf noch an der Macht ist, wird das nicht sein. Denn es war der mittlerweile 71-Jährige selbst, der mit dem überraschenden Rausschmiss seines erfolgreichen Finanzministers Georg Milbradt Anfang Februar die Krise losgetreten hat.
Seitdem ist nichts mehr, wie es war. In der Landes-CDU, die seit 1990 mit absoluter Mehrheit regiert, rumort es. In der Staatskanzlei herrscht heilloses Durcheinander. Und Kurt Biedenkopf schlägt um sich, ohne Rücksicht auf Freund und Feind. Doch verhindern wird auch er nicht können, dass eine Ära zu Ende geht. Irgendwann, vielleicht schon sehr bald - und bestimmt nicht erst im Herbst 2004 - wird ein anderer das Regieren übernehmen. Das Problem ist nur, hört man bei Hofe, dass "König Kurt" eigentlich keinen für würdig befindet, sein Nachfolger zu sein. Auch Ingrid Biedenkopf denkt wohl so, die einflussreiche Frau des Ministerpräsidenten. Gern lässt sie sich als Landesmutter titulieren.
Milbradt ist aus dem Kabinett entfernt, aber als Vize der Landespartei noch nicht aus dem Rennen. Wird doch er den störrischen Alten beerben oder einer aus jener Handvoll junger Minister, zu denen zählt, wer noch nicht 50 ist? Biedenkopf selbst will die Entscheidung treffen, was viele seiner Getreuen erzürnt. "Wir sind keine Monarchie, wo der König oder die Königin den Nachfolger bestimmt", so hat der stellvertretende Landesparteichef Heinz Eggert schon vor Wochen zum Angriff geblasen. Der Lausitzer war einmal Innenminister und ist längst Wortführer der Biedenkopf-Kritiker in der sächsischen CDU. Nun haben sie durchgesetzt, dass ein Sonderparteitag zumindest Mitspracherecht hat. Bewerber sollen sich offiziell melden.
Die Zahl der Kritiker wächst derweil mit jeder Enthüllung über das Gebaren im Hofstaat. Längst geht es dabei nicht mehr nur um privat genutzte Dienstwagen, außergewöhnlich günstige Mietkonditionen im Regierungs-Gästehaus oder das vom Freistaat angestellte Personal, welches dem Ministerpräsidentenpaar auch in dessen Haus am Chiemsee zur Hand ging. Der eigentliche Skandal ist die Selbstverständlichkeit, mit der versucht wurde, diese Privilegien als etwas ganz Normales hinzustellen.
"Da wird verschleiert und gelogen, dass sich die Balken biegen", sagt Nolle, das rote Tuch in XXL-Format. Seit er öffentlich ausspricht, worüber die Medien in der Elbestadt lange schwiegen, erhält er immer neue Tipps - aber auch empörte Briefe von Sachsen, die ihn des Rufmords bezichtigen. Einige sind adressiert an "Das Arschloch Nolle in der Beerensteiner Straße". Dort residiert der einstige Barrikadenkämpfer aus Hannover in seinem der Treuhand abgekauften Druckhaus. "Ich bin Ostdeutscher geworden", versichert der 56-Jährige und verteilt großzügig und ungefiltert die ihm auch aus der CDU zugespielten Informationen, die Biedenkopf ein ums andere Mal in Bedrängnis bringen.
Allein schon das, was bisher bekannt und verbürgt ist, lässt auch Hartgesottene ungläubig den Kopf schütteln. 1263,25 Mark Kaltmiete monatlich zahlten die Biedenkopfs seit 1997 für die 155-Quadratmeter-Wohnung im Regierungs-Gästehaus - gerade einmal 8,15 Mark pro Quadratmeter. Mit der zusätzlichen Betriebskostenpauschale von 3,80 Mark je Quadratmeter waren nicht nur Heizung, Warmwasser und Müllabfuhr gesichert, sondern auch die Dienste des sechsköpfigen Hauspersonals, das allein in diesem Jahr dem sächsischen Steuerzahler 300 000 Mark kostet. Die Bediensteten gingen den Biedenkopfs auch in deren Privathaus am bayerischen Chiemsee zur Hand, das eine Abordnung sächsischer Personenschützer ganzjährig bewacht. Vor lauter Langeweile verbringen die Polizisten den Tag mit Angeln, Gartenarbeit und Waldläufen.
Mit einem Gefälligkeitsgutachten hatten sich Staatskanzlei und Finanzministerium in der Mietsache vor den Ministerpräsidenten gestellt. Erst als der Landesrechnungshof nach wochenlanger Prüfung einen Schaden von mehreren 100 000 Mark attestierte, reagierte die Ministerialbürokratie und kritisierte in dürren Worten die Gepflogenheiten in der Schevenstraße. 120 000 Mark solle der Ministerpräsident nachzahlen, verkündete Finanzminister Thomas de Maizière den Journalisten - und löste hohnvolles Gelächter mit einer Gegenforderung Biedenkopfs aus. Der verlange nun 110 000 Mark dafür, dass die Sicherheitsleute des Landeskriminalamtes in einer Einliegerwohnung seines Hauses am Chiemsee kostenlos logieren. Keine Stunde hat es gedauert, bis der lächerlich gemachte Minister dementieren musste. Biedenkopf, dieser Tage im Kommunalwahlkampf um Erklärung gebeten, zeigte sich einmal mehr als großzügiger Gutmensch. Ja, bestätigte der König, es gebe diese Forderung, "aber ich werde sie nicht geltend machen." Exakt 122 808 Mark hat er inzwischen an die Landeskasse überwiesen.
Inzwischen wurde die Warmmiete in der Staatsresidenz um knapp fünf Mark auf 16,57 Mark je Quadratmeter erhöht - und Biedenkopf ließ überraschend mitteilen, dass er mit seiner Frau bald schon in der Karl-May-Stadt Radebeul wohnen wird. Dort haben sie sich in eine mit allen Sicherheitsstandards ausgestattete Villa eingemietet, die dem schwerreichen Chef der Tengelmann-Gruppe, Erivan Haub, gehört. Es ist der späte Versuch, die Affäre hinter sich zu lassen und Nolle abzuhängen.
Doch die Opposition lässt nicht locker. "Die CDU ist abgewirtschaftet", sagt Thomas Jurk, Fraktionschef der gerade einmal noch 14 Sozialdemokraten im Landtag. Mit 30 Abgeordneten ist die PDS Oppositionsführerin. Doch auch das zusammen reicht nicht annähernd an die 76 Mandate der Christdemokraten heran. Jurk, ein kräftiger Mann, der die Krawatte mit offenem Hemdkragen trägt, wittert Morgenluft. Alle Experten sagen voraus, dass die CDU ohne Biedenkopf bei der nächsten Wahl in spätestens drei Jahren Stimmen einbüßen wird. Verliert sie die absolute Mehrheit, könnte die SPD als Partner in einer großen Koalition benötigt werden. "Ein Bündnis mit der PDS steht nicht auf der Tagesordnung", versichert Jurk in seinem Arbeitszimmer mit Blick in den Garten des Landtages. Das kann man glauben oder nicht.
Zumindest aber sind sich SPD und PDS so weit näher gekommen, dass sie gemeinsam in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss den Bau und die Vermietung eines Behördenzentrums in Leipzig-Paunsdorf zu erhellen versuchen. Auch hier steht der Ministerpräsident am Pranger. Und vieles spricht dafür, dass die Affäre mindestens so viel Sprengstoff birgt wie das Gemauschel im Regierungs-Gästehaus.
Denn in Paunsdorf geht es nicht um Hunderttausende, sondern um Hunderte Millionen Mark. Schon 1996 hatte der Landesrechnungshof den Freistaat für die mit Investor Heinz Barth geschlossenen Mietverträge gerügt. Auch die Kriminalpolizei interessierte sich für den Fall. Doch nach Intervention des Finanzministeriums verzichtete die zuständige Staatsanwaltschaft auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.
Der Kölner Bauunternehmer Barth ist ein enger Freund der Biedenkopfs. In einer fünfeinhalbstündigen Befragung hatte der Landesvater Ende Februar vor dem Ausschuss eigenes Fehlverhalten verneint. Aktenlage und bisherige Zeugenaussagen lassen anderes vermuten. Denn vier Wochen, nachdem das sächsische Finanzministerium maximal 15 Mark je Quadratmeter für vertretbar gehalten hatte, setzte sich Biedenkopf am 1. Juli 1993 für den Abschluss eines 25-jährigen Mietvertrages zum monatlichen Quadratmeterpreis von rund 24 Mark ein. Danach, so hatte der Regierungschef unter Eid ausgesagt, habe er sich nicht mehr um die Angelegenheit gekümmert.
Michael Muster, damals Abteilungsleiter Liegenschaften im sächsischen Finanzministerium, gab nun preis, dass er nach mehrmaligen Nachfragen Biedenkopfs im Oktober 1993 von dem Ministerpräsidenten einbestellt worden sei. Dabei sei ihm zu verstehen gegeben worden, dass der Mietvertrag über den im Bau befindlichen Gebäudekomplex nun endlich unterschrieben werden müsse. Sieben Tage später erfolgten - notariell beglaubigt - die Unterschriften. Auch unter einen Vertrag, der die zusätzliche Anmietung von 18 000 Quadratmetern regelte, weil Barth - der auch noch 33 Millionen Mark zusätzlich für Sondereinbauten wie Schränke, Sicherheitsverglasungen oder Heizungen kassierte - zu großzügig gebaut hatte. 15,8 Millionen Mark Miete kostet das Paunsdorf-Center die Steuerzahler jährlich. Investor Barth kann zufrieden sein.
Bei ihren Untersuchungen stützen sich die Abgeordneten auf jene Akten, die 1998 von der Staatsanwaltschaft auf Eis gelegt wurden. Die sind außerordentlich aufschlussreich, obwohl beim Versand über das Justizministerium einige der 31 Ordner verschwanden.
Die Ermittlungsunterlagen über ein weiteres Behördenzentrum in Grimma gingen dem Landtag direkt und vollständig zu. Nur wurden sie auf Verlangen der CDU, die entsprechend der Sitzverhältnisse im Parlament sieben der zehn Ausschussmitglieder stellt, zur Verschlusssache erklärt. Die Merkwürdigkeiten in Grimma waren im Zuge der Paunsdorf-Untersuchungen mit an die Oberfläche geschwemmt worden.
André Hahn, der für die PDS als stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss sitzt, spricht von erstaunlichen Parallelen, auch wenn Grimma ein viel kleineres Objekt als jenes in Paunsdorf sei. Doch auch hier waren die Büros lange vor Fertigstellung vermietet, gab es beträchtliche Nachforderungen vom Investor, mit dem schließlich eine Kaltmiete von rund 35 Mark pro Quadratmeter Bürofläche vereinbart wurde.
Diesmal aber verweigerte man im von Georg Milbradt geführten Finanzministerium die Zustimmung. Die Miete sei zu hoch, es gebe keinen Bedarf für so viel Fläche, Alternativen seien nicht geprüft worden, lautete die Begründung. Am Ende wurde doch unterschrieben. Nicht vom Finanzminister, sondern von dessen Staatssekretär Karl-Heinz Carl, einem Vertrauten Biedenkopfs. Doch auch dem betagten Stellvertreter war die Sache wohl nicht geheuer. Und so setzte er hinter seine Unterschrift den Vermerk, dass er hiermit zu Protokoll gebe, schwerste Bedenken gegen den Vertrag zu haben, insbesonders was Miethöhe und Laufzeit betrifft.
Wegen verspäteter Fertigstellung und mangelnder Belege für Sondereinbauten versuchte man dann, wenigstens eine Mietminderung durchzusetzen. Hilfesuchend wandte sich Bauherr Peter Schlesiger wegen der ausstehenden 1,7 Millionen Mark im Dezember 1995 an die Landesmutter Ingrid Biedenkopf mit der Bitte um Hilfe. Die leitete den Brief prompt an Carl weiter, und der meldete keine vier Wochen später Vollzug; es werde eine einvernehmliche Lösung angestrebt.
Im September soll beim vorgezogenen Parteitag der neue CDU-Landeschef gewählt werden. Fritz Hähle, bisher Partei- und Fraktionsvorsitzender in Personalunion, wird als Getreuer Biedenkopfs kaum mehr eine Chance haben. Vielleicht tritt Milbradt an, der sich seit Wochen in vielsagendes Schweigen hüllt. Wer Parteichef wird, hat beste Aussichten, den Freistaat nach Biedenkopf zu regieren. "König Kurt" will für sich nur noch einen guten Abgang. Komme danach, was wolle.
(Frank Kässner)