Karl Nolle, MdL

Freie Presse - Online, 17.04.2002

„Jahre mit Biedenkopf waren gute Jahre für Sachsen“

Abschiedsrede mit Mahnungen und Ermutigungen - Jurk: Willkommen in der Opposition“
 
DRESDEN. Das entscheidende Wort blieb einem Gespräch hinter verschlossenen Türen vorbehalten. Seinen Rücktritt verkündete der Ministerpräsident per Briefübergabe an Landtagspräsident Erich Iltgen. So ersparte sich Kurt Biedenkopf auch, Gründe die vorzeitige Abgabe des Zepters zu nennen. Es war eine politische Grundsatz-Rede, mit der sich der sächsische Premier verabschiedete. Frei von Emotionalität, aber durchsetzt von Mahnungen und Ermutigungen, zog Biedenkopf eine positive Bilanz seiner Amtszeit und blieb bei einer optimistischen Zukunftsbetrachtung: „Sachsen wird Gründerland sein, Sachsen wird ein Hingeh- und kein Weggeh-Land sein, wenn wir nur wollen.“
Die Geste vor seiner letzten Regierungserklärung hatte symbolischen Charakter. Kurt Biedenkopf ging auf PDS-Fraktionschef Peter Porsch zu, schüttelte ihm die Hand und entschuldigte sich, ihm nicht wie üblich seine Rede vorab gegeben zu haben. Versöhnung lag in der dicken Landtagsluft, auch wenn Porsch nicht von seinem Manuskript abwich: „Ich glaube, wir haben uns beide nicht allzu sehr gemocht, ja kaum einmal wirklich verstanden.“ Aber es schwang auch Respekt über die sportliche Herausforderung mit. Es sei in Ordnung, zitierte Porsch seinen Widersacher, „wenn zwischen uns die Fetzen fliegen.“

Das leidige letzte Jahr hatte Biedenkopf ausgeklammert, ebenso Georg Milbradt. Im Ringen um eine frei gehaltene, persönlich gefärbte Rede oder eine sachliche Abarbeitung von Soll und Haben entschied sich Biedenkopf für die staatsmännische Variante. So enttäuschte er jene, die zum Finale ein neues Ideen-Feuerwerk erwartet hatten und beglückte andere, die seine Thesen zu großen politischen Themen noch nicht oder nur anders verpackt kannten. „Bis heute halten Sie schöne Reden“, sagte Spötter Porsch in seiner Entgegnung, und er weiß, wie arm der Landtag ohne die geschliffene Rhetorik Biedenkopfs sein wird.

Mut zu machen und dies mit Zahlen und Fakten überzeugungsstark zu untermalen: Noch einmal rief der scheidende Regierungschef ab, was er in zwölf Jahren Sachsen an Wissen gespeichert und daraus an Folgerungen abgeleitet hat. Sein Lieblingsthema Wirtschaft: Der Freistaat habe anders als Baden-Württemberg den Wandel von der Bedeutung des produzierenden Gewerbes auf die Dienstleistungen vorweggenommen. Ungebrochen sei die Bereitschaft zur Selbständigkeit. Eine wachsende Regelungsdichte, ausufernde Verbürokratisierung, der Mangel an Eigenkapital und ein tiefes Misstrauen gegenüber Arbeitgebern erklärten aber eine „Unternehmerlücke“ im Vergleich zum Westen.

Nur kurz streifte Biedenkopf ein Problem, das ihm die Opposition als ungelöst anheftet: Die Abwanderung sei in erster Linie eine Frage der Binnenwanderung. Er machte die Ursachen am Beispiel von Hoyerswerda und dem Zusammenbruch einer Monostruktur fest. Auch die hohe Arbeitslosigkeit relativiere sich durch eine beachtliche Arbeitsplatzdichte. Gesamtdeutsche Probleme macht Biedenkopf für die sächsischen Arbeitsmarkt-Defizite verantwortlich. Unter der Bürokratisierungslast werde man eher leiden als der Westen, weil die dünne Eigenkapitaldecke Schwankungen weniger auffange. Zum Bild der fleißigen Sachsen passte der Hinweis auf eine Statistik, nach der in einer „Drückeberger-Liste“ von Arbeitslosen der Freistaat den letzten Platz einnehme.

Sachsen als Land von Bildung, Wissen und Kultur: Für Biedenkopf eine einzige Erfolgsstory. Vehement setzte er sich für die Förderung von Eliten und Wettbewerb in Schulen ein. Als Seitenhieb auf überzogenen Datenschutz durfte Thomas Giesen kopfschüttelnd den Hinweis verstehen, dass man sich in einer Klasse Datenschutzprobleme einhandele, wenn man die Ergebnisse von Arbeiten bekannt gebe. „Das ist eine Form, Wettbewerb zu unterdrücken“, zog Biedenkopf Vergleiche mit dem Sport.

„Sachsen steht gut da und hat sich Ansehen erworben“, rief Biedenkopf in den restlos gefüllten Plenarsaal, und auf der Zuschauer-Empore lächelte Ehefrau Ingrid, wie CDU-Chefin Angela Merkel in Reihe eins sitzend. Indirekt bestätigte das auch SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Jurk. „Was sie meisterhaft verstanden haben, war die Bedeutung symbolischer Politik“, attestierte er, Biedenkopf habe die Menschen hinter sich gebracht und ihnen Mut zum Aufbruch gegeben. „Sie wurden Regierungschef in dem Bundesland mit der gewachsensten historischen Identität“, relativierte er die Startbasis ein wenig.

Zu den Versäumnissen der Biedenkopf-Politik rechnete Jurk das Ausbleiben einer echten Verwaltungsreform, den Personalabbau im Hochschulbereich und das Zulassen einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ mit Erfolgen in den Ballungszentren und „vergessenen Regionen“ in den Randlagen. „Wir lassen uns keinen Traumsand in die Augen streuen“, sagte der SPD-Mann: Die wirklichen Unterschiede bestünden zwischen Ost- und Westdeutschland und nicht zwischen Sachsen und Brandenburg. Am Ende spielte Jurk auf Biedenkopfs neue Rolle an: „Auch Sie haben dem neuen Ministerpräsidenten auf die Finger zu schauen“, und rief: „Willkommen in der Opposition.“

Anerkennung und Respekt vor Biedenkopfs Leistungen: Im Vergleich zu Jurk verhielt sich PDS-Porsch bissiger. Aus dem Querkopf Biedenkopf sei ein Starrkopf geworden, die heillos zerstrittene CDU sei von ihm so zugerichtet worden. „Ihre Hofhaltung hat die Intrige und das Treten unter dem Tisch zu den entscheidenden Rezepten für den Erfolg gemacht.“

„Die Jahre mit Kurt Biedenkopf waren gute Jahre für Sachsen“, hielt CDU-Fraktionschef Fritz Hähle dagegen und schloss sein Kabinett und die Leistungen von Ehefrau Ingrid in die Wertung ein. „Wer dies abschätzig und missgünstig kommentiert, zeigt damit nichts anderes als Kleinkariertheit.“ Dann griff Hähle doch noch einmal auf das vergangene Jahr, dass den Sturz einleitete, zurück. Er sprach von „kleinlichen, ins persönliche gehenden Angriffen“ und warf die Frage auf, ob solche „bewusst inszenierten Manöver der Demokratie nützen oder eher schaden“. Seine eigene Erfahrung: „Die Menschen wenden sich angewidert ab.“

„Die Bürger erwarten eine sachliche, die Person achtende Auseinandersetzung“, stieß Landtagspräsident Iltgen ins gleiche Horn und forderte eine neue Kultur der Auseinandersetzung. „Amen“, echote SPD-Nolle. „Das meine ich mit Kultur“, reagierte Iltgen, und der Beifall der CDU war ihm sicher.

Stimmen: „Vordenker und Vorarbeiter“

Manfred Stolpe (Ministerpräsident Brandenburgs): „Biedenkopf war für die Ostdeutschen Vordenker und zugleich Vorarbeiter. Sein größtes Verdienst bleibt, den Menschen Selbstbewsstsein gegeben zu haben.“
Joachim Reinelt (Katholischer Bischof): „Biedenkopf hat seine Überzeugung, dass Politik mit christlicher Überzeugung zusammengehen kann, vorgelebt.“

Steffen Heitmann (Ex-Justizminister): „Jetzt ist genug gelobt worden. Es ist schön, dass wir wieder nach vorn blicken können.“

Bernhard Vogel (Ministerpräsident Thüringens): „Kurt Biedenkopf hat Dank verdient für seine Aufbauleistung. Das bleibt hängen, nicht die Geschichten des letzten Jahres.“

Kajo Schommer (Wirtschaftsminister), der von der Regierungsbank einen Schnappschuss von Biedenkopfs Abschiedsrede machte: „Wehmut schwingt mit, aber auch Hoffnung, dass der Blick auch künftig über die Landesgrenzen hinaus gerichtet bleiben wird.“

Erich Iltgen (Landtagspräsident): „Die letzten 12 Jahre waren die ertragreichsten des Landes, und sie werden immer mit dem Namen Biedenkopf verbunden bleiben.“

Georg Milbradt (Ministerpräsident-Aspirant): „Biedenkopfs Rede stand in einer Linie mit seiner Politik. Für mich ist es schon eine gewisse Erleichterung, dass der Übergangsprozess nun vor dem Abschluss steht.“

Karl Nolle (SPD): „Das war heute der Versuch eines Pontifikalamtes, aus dem das letzte Jahr ausgeblendet worden ist.“

Angela Merkel (CDU-Chefin): „Kurt Biedenkopf hat durch seinen Erfahrungsschatz den Sachsen den Weg in die Welt eröffnet. Er hat ihnen Selbstbewusstsein gegeben, so dass sie ihre Geschicke besser vielleicht als andere in den neuen Ländern in die Hand nehmen können.“

Wolfgang Heinze (Arbeitgeber-Präsident Sachsen): Unter Biedenkopfs Führung hat sich Sachsen als europäische Wirtschaftsregion mit respektablen Wirtschaftsdaten und einem positiven Image etabliert. Biedenkopf hat den Sachsen Mut und gestalterische Kraft vermittelt.“

Leitartikel: Last und Lust - Politik als Kunst des vorausschauenden Handelns (Von Dieter Soika)

Die große Koalition der Sozialromantiker aus CDU und SPD heulte auf, schrie Zeter und Mordio. Kurt Biedenkopf und sein Freund Meinhard Miegel hatten einen einzigartigen Tabubruch gewagt: Sie warnten die wohlstandsverwöhnte westdeutsche Politik und Öffentlichkeit vor dem Zusammenbruch ihres Renten- und Sozialsystems.

Weit mehr als 20 Jahre sind seit dieser ernsten Mahnung vergangen und die zusätzlichen Belastungen, die die ökonomischen Hinterlassenschaften der DDR mit sich brachten, gestalten die heutige gesamtdeutsche Lage nicht gerade einfacher. Die Alterspyramide steht auf dem Kopf und damit geraten auch die Gesetze der Lastenverteilung zwischen den Generationen aus den Fugen. Inzwischen sind die damaligen Voraussagen aber anerkanntes Allgemeinwissen: Ohne radikale, grundsätzliche Reform wird der gefräßige Sozialstaat, der immer noch auf den Prinzipien Bismarckscher Politik basiert, nicht überleben.

Kurt Biedenkopf hängt wegen solcher Konzepte, wie das einer modernen Altersvorsorge, das Etikett des „Querdenkers“ an. Ein schiefes Bild. Denn Biedenkopf denkt nicht kreuz und quer, sondern voraus. Die Folgenabschätzung politischer Pläne ist mindes-tens genauso bedeutsam wie die Ideen an sich. Denn was gut gemeint ist, kann trotzdem am Ende verheerend wirken. Der Politiker muss, wie Willy Brandt sagte, „über den Tag hinaus“ denken und handeln können.

Wer Politik so betreibt, wird Strukturen aufbrechen und Grenzen verletzen wollen. Ein Politiker dieses Typus musste allerdings in der von mächtigen Interessengruppen überregulierten westdeutschen Gesellschaft zwangsläufig und immer häufiger als Störenfried empfunden werden. Zwischen Rhein und Weser bewunderte und fürchtete man Biedenkopfs Intelligenz gleichermaßen; in der Rolle des geliebten Landesvaters konnte man sich den kühl wirkenden Professor kaum vorstellen.

Biedenkopf und die Sachsen: Das Glück der Tüchtigen

Als er jedoch an die Elbe kam, fand er völlig Anderes vor: Menschen, die persönlich wie auch gesellschaftlich einen absoluten Neuanfang anpacken wollten. Wenn alles möglich ist, kann vieles gelingen. Das Glück der Tüchtigen war, wie es sich im richtigen Leben gehört, mit Biedenkopf und den Sachsen. Daran kann nichts und niemand etwas ändern, schon gar nicht die Kleinkarierten des vergangenen Kampagnenjahres.

Befreit von der Last des politischen Amtes wird sich Kurt Biedenkopf künftig wieder mehr der Lust am politischen Diskurs zuwenden können. Man wird von ihm hören und vieles wird die Politik aufscheuchen. Wie schon vor 20 Jahren. Am Mittwoch endete eine Ära der deutschen Politik. Am Donnerstag beginnt mutmaßlich eine Episode.
(Hubert Kemper)