Karl Nolle, MdL
Gewerbe Report 04/2002, 08.11.2002
12 Jahre nach der Wende hängt der Osten noch immer am Tropf des Westens!
BVD im Gespräch mit Karl Nolle, MdL-SPD
Zu einem Gedankenaustausch und einer Betriebsbesichtigung traf sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD im sächsischen Landtag, Karl Nolle, mit BVD Präsident Karl Philippi, BVD-Bundesgeschäftsführer Hans-Dieter Schaefer sowie dem BVD-Präsidiumsmitglied und Vorsitzenden des sächsischen Landesverbandes im BVD, Rudolf Martin.
Bei Karl Nolle handelt es sich um einen erfolgreichen Unternehmer der Druckbranche, der sich gleichzeitig als Mittelständler in der Politik engagiert. Dabei scheut der Querdenker und gebürtige Hannoveraner auch nicht davor zurück, sozialdemokratische Tabus anzugreifen.
Er selbst kam nach der Wende aus Hannover, wo er ein erfolgreiches Druckhaus besaß, nach Dresden. Dort hat eine heruntergekommene Fabrik übernommen und völlig umgestaltet.
In dem "Medienhaus Dresden" sind heute 60 Mitarbeiter beschäftigt, dazu kommen neun Auszubildende.
Neben modernsten Drucktechniken ist das Druckhaus Karl Nolle das weltweit einzige, das noch die entsprechenden Geräte für das so genannte Lichtdruckverfahren sowie die dafür notwendig qualifizierten Fachkräfte besitzt.
BVD-Mitglied Karl Nolle verwies in dem Gespräch mit den BVD-Repräsentanten auf die zusammengebrochene Druckindustrie im Osten, weshalb es weniger qualifizierte Fachkräfte gäbe, die marktgemäß entsprechend hohe Löhne erhielten.
Er beklagte insbesondere, dass selbst 12 Jahre nach der Wende der Osten immer noch am Tropf des Westens hänge. Ein sich selbst tragender Aufschwung sei nicht in Sicht.
Der Aufbau Ost habe sich bisher lediglich als ein gigantisches Konjunkturprogramm für westdeutsche Firmen erwiesen. 50% aller Waren, die im Osten nachgefragt würden, kämen nicht von dort. Es bestünde zur Zeit immer noch eine Produktionslücke von 110 Milliarden Euro, eine Arbeitsplatzlücke von ca. 2,2 Millionen Stellen sowie eine Unternehmenslücke in Höhe von ca. 200.000 kleinen und mittleren Betrieben.
Die Schließung dieser drei Lücken könne nicht - wie von der sächsischen Landesregierung geplant - durch so genannte "Leuchttürme" geschlossen werden. Unter "Leuchttürmen" seien Großbetriebsansiedlungen zu verstehen, wovon man allein in Sachsen weitere 100 benötige, was unrealistisch sei.
Eine Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Misere könne nur durch die Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen erreicht werden. So dürften Existenzgründungen nur noch in zukunftsträchtigen Branchen erfolgen, die Förderung müsse entbürokratisiert werden. Notwendig seien die Konsolidierung und der Erhalt bestehender Firmen. Eine Vergrößerung dieser Betriebe sei noch wichtiger als Neugründungen. Fördermittel seien in Sachsen ein Dschungel, man brauche einen qualitativen Sprung vom "Gießkannenprinzip" zur gezielten Förderung. Dabei dürften keine Überkapazitäten geschaffen werden.
Als problematisch bezeichnete er auch die Niedriglöhne, hier käme netto meist nur ein Betrag in Höhe der Sozialhilfe heraus, was für arbeitswillige Arbeitslose wenig motivierend sei. Auf diese Beschäftigungsverhältnisse dürften keine oder nur ganz wenig Steuern entfallen, der Staat müsse die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen. Es sei immer noch besser, in Arbeit als in Arbeitslosigkeit zu investieren.
Auch BVD-Präsident Karl Philippi betonte die Notwendigkeit, die Schere zwischen
Brutto- und Nettoeinkommen zu schließen. Das beste Konjunkturprogramm sei eine Kaufkraftstärkung. Karl Nolle sprach sich für einen Paradigmenwechsel in der Förderung aus. Bisher seien 90% in die Produktion gesteckt worden. Genau so wichtig seien jedoch Marketing, Management, Messebeteiligungen, Verkaufsförderung, das Schaffen und Suchen neuer Märkte etc. Deshalb solle der Anteil dieser Maßnahmen 40% der Fördermittel betragen.
Als dramatisch bezeichnete er den Bevölkerungsrückgang in Sachsen. Kam dieser anfangs noch durch 80% weniger Geburten und 20% Wegzug zustande, so sei dieser heute nur noch zu 40% durch Geburtenrückgang, aber bereits zu 60% durch Abwanderungen begründet.
Der wirtschaftpolitische Sprecher der SPD im sächsischen Landtag, Karl Nolle, sowie die BVD-Repräsentanten waren sich darin einig, dass die Schaffung von kleinen Betrieben vor Ort und ein entsprechendes Vorhalten von Arbeits- und Ausbildungsplätzen der einzige Ausweg aus dieser Misere seien.
Karl Nolle selbst eröffnet seinen Beschäftigten die Möglichkeit, durch eine Mitarbeiterbeteiligung an dem Unternehmen aktiv an der eigenen beruflichen Zukunft mitzuarbeiten.
(GEWERBE REPORT • 38. JAHRGANG • 04/2002, BVD-Europaverband der Selbständigen, Bundesverband Deutschland e.V.)