Karl Nolle, MdL

Dresdner Morgenpost, 28.11.2002

Abwanderung: Sachsen droht Arbeitskräfte-Mangel

 
DRESDEN. Trübe Aussichten für Sachsens Zukunft: Immer mehr gehen weg, weil sie woanders Arbeit finden und mehr Geld verdienen. Vor allem junge und gut ausgebildete Fachkräfte verlassen den Freistaat. Jetzt warnen Experten: Spätestens 2010 droht Sachsen ein absoluter Mangel an Arbeitskräften.

„Schon heute fehlen Leute in besonders qualifizierten Berufen", sagt Hartmut Biele, Präsident des Statistischen Landesamtes. Er deckte auf: Erstmals seit der Wende steigt die Zahl der Abwanderer wieder dramatisch an! 62 300 Sachsen zogen 2001 fort. Ziel: die alten Bundesländer, vor allem Bayern und Baden-Württemberg.

„Der typische Abwanderer ist jung, Single, überdurchschnittlich gut gebildet und findet hier keinen passenden Arbeitsplatz", sagt Gabriele Köster vom Statistik-Amt. In der Tat: Hauptgrund für fast die Hälfte aller Abhauer ist der fehlende Job. Der Rest folgt entweder dem Lebenspartner oder verdient woanders deutlich besser als hier.

Besonders bitter: Vor allem junge Sachsen gehen weg, über die Hälfte von ihnen ist noch nicht mal 30 Jahre. Hinzu kommt: Die meisten Fortzügler haben mächtig was auf dem Kasten, 37 Prozent sogar einen Hoch- oder Fachhochschul-Abschluss. In ganz Sachsen sind das nur 18 Prozent! Geht die „Elite" jetzt für immer verloren?

Wahrscheinlich ja. Zwar können sich laut Studie 62 Prozent der Ex-Sachsen eine Rückkehr in die Heimat vorstellen, bei den unter 30-Jährigen sind es sogar 73 Prozent.

Voraussetzungen: ein Job und gutes Gehalt in Sachsen. Aber: Je höher die Bildung, umso geringer der Rückkehr-Wille. Nur zwölf Prozent der Abiturienten und 22 Prozent der Hochschulabsolventen wollen überhaupt wieder zurück nach Sachsen ziehen!

Über die Konsequenzen streiten nun die Parteien. „Leider haben wir nicht genügend Unternehmen, die attraktive Stellen bieten", sagte Wirtschaftsminister Martin Gillo. „Die Analyse macht aber Mut zu weiteren Ansiedlungen." Das sieht SPD-Wirtschaftsexperte Karl Nolle anders: „Die Analyse ist ein Dokument des Grauens." Die SPD-Fraktion fordert jetzt einen Abwanderungsgipfel. Nolle: „Wirtschaft, Gewerkschaften, Politik und Betroffene müssen an einen Tisch." Die PDS forderte die Regierung auf, einen Maßnahmeplan vorzulegen.
(Stefan Locke)