Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 07.12.2002
Affärensumpf: Regierung ruft Staatsanwalt zu Hilfe
Justiz soll den Mauschelei-Verdacht überprüfen / Ex-Minister stellt Strafanzeige
Seit Wochen wehrt sich die Staatsregierung gegen den Vorwurf, 1999 dem Unternehmer Ulf Rittinghaus im Gegenzug für die Finanzierung einer CDU-nahen Werbekampagne vier Millionen Mark zu viel an Fördermitteln ausgezahlt zu haben. Am Freitag wurde aus dem Streit ein offener Schlagabtausch.
Die Stunde der Wahrheit naht. Ulf Rittinghaus, Ex-Vorstandschef der Sachsenring Automobiltechnik AG (SAG) in Zwickau, muss jetzt wahrscheinlich vor Gericht Beweise für seine Anschuldigungen auf den Tisch legen. Laut Rittinghaus hat das Zwickauer Unternehmen die Kampagne "Sachsen für Sachsen" nur finanziert, weil der Freistaat der SAG dafür deutlich höhere Fördermittel als geplant auszahlte.
Sachsens Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU), den Rittinghaus immer wieder als Drahtzieher des illegalen Tauschgeschäfts nennt, bestreitet dies bisher vehement. Jetzt setzt er sich auch juristisch zur Wehr. Mit einer dreiseitigen eidesstattlichen Erklärung stellte Schommer am Freitag mehrere Gegenbehauptungen zur Rittinghaus-Version auf. Tenor: Weder habe er als Minister um eine Spende zur Finanzierung der Kampagne gebeten, noch habe er jemals Einfluss auf die Erhöhung der Staatszuwendungen an die SAG genommen.
Gleichzeitig erstatte der Ex-Minister bei der Staatsanwaltschaft Berlin Anzeige gegen die Brüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus. Sein Vorwurf: Falschaussage unter Eid, da diese zuvor ebenfalls eidesstattliche Erklärungen abgegeben hatten. Schommer präsentierte zudem zwei Entlastungszeugen in eigener Sache. Sowohl sein ehemaliger Staatssekretär Wolfgang Vehse als auch der einstige Abteilungsleiter für Technologieförderung im Wirtschaftsministerium, Helmut Ennen, stützen Schommer durch eigene eidesstattliche Erklärungen.
Verdacht: Staatsdiener wussten von MissständenFast zeitgleich kündigte auch die Staatsregierung am Freitag juristische Schritte in dieser Affäre an. Laut Burkhard Zscheischler, Sprecher des Wirtschaftsministeriums, sei man bei der Durchsicht der Akten über die umstrittenen Staatszuschüsse an die Zwickauer SAG auf Ungereimtheiten gestoßen.
Unter anderem bestehe der Verdacht, dass das Unternehmen unter Führung von Rittinghaus Gelder missbräuchlich verwendet hat. So waren vom Land Sachsen einst 29 Millionen Mark als Liquiditätshilfe ausgezahlt worden, damit die SAG die damals wirtschaftlich angeschlagene Chipfabrik Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) übernimmt. Weil dafür aber die Zustimmung der EU notwendig gewesen sei, habe man die Summe zunächst als Darlehen ausgegeben. Erst nach der Zustimmung aus Brüssel hätte damit auf das Geld zugegriffen werden dürfen. Heute bestehe der Verdacht, dass die Mittel unzulässigerweise sofort an die inzwischen in Konkurs gegangene SAG weiter geflossen sind.
Für Fragezeichen sorgt auch ein Lizenzhandel zwischen der SAG und der Chipfabrik, der noch vor dem ZMD-Verkauf stattfand. Indizien weisen darauf, dass es sich dabei um ein Scheingeschäft gehandelt hat, bei dem am Ende der Freistaat möglicherweise dazu gebracht werden sollte, den Verkauf unbeabsichtigt doppelt zu fördern.
"Für uns tun sich viele dunkle Löcher auf", heißt es aus dem Ministerium. Da man auf dem Verwaltungsweg die Vorgänge nicht ausreichend nachprüfen könne, soll die Staatsanwaltschaft Dresden den Fall übernehmen. Nach SZ-Informationen hat der Hilferuf an die Justiz aber noch einen anderen Grund. Inzwischen ist nicht mehr auszuschließen, dass Regierungsmitarbeiter frühzeitig von den vermuteten Missständen bei der SAG wussten, diese aber nicht anzeigten.
(Von Gunnar Saft)