Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 05.06.2003

Zeit ist Geld - Das Millionenspiel der Christine Weber

Sehr verschiedene Ansprüche: Die Ministerin, die Metaller und die Zahnarzthelferin
 
CHEMNITZ. Was hat ein Metallarbeiter mit Sachsens Sozialministerin Christine Weber gemein? Beide führen sie einen Kampf gegen die Zeit! Der Metaller streikt um drei Stunden Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Die CDU-Ministerin ringt offensichtlich darum, sich im Amt zu halten, wenigstens ein paar Tage noch. Schafft sie das, kann sie den Rest ihres Lebens - sie ist 54 Jahre alt - mit einer dicken Pension in der Tasche spazieren gehen.

Um was geht es?

Ein Facharbeiter verdient im Schnitt 2000 Euro brutto. Die Verkürzung der Arbeitszeit um drei Stunden entspricht einem finanziellen Wert von 1800 Euro im Jahr, 150 Euro im Monat. Zu viel - sagen die Unternehmer. Und selbst ernst zu nehmende Wirtschaftsexperten warnen vor solch einer Erhöhung. Betriebe würden durch eine solche indirekte Lohnerhöhung reihenweise in die Pleite getrieben.

Weil das so ist, kämpfen die Metaller um eine stufenweise Reduzierung der Arbeitszeit um drei Stunden bis 2008. In den ersten Jahren geht es also nur um eine Stunde weniger Arbeitszeit - das entspricht einem Wert von 600 Euro im Jahr. Macht 50 Euro im Monat. Dafür betreiben die Gewerkschaften einen Riesenaufwand, legen Betriebe still und manch einer riskiert sogar seinen Job.

Ministerin Weber kämpft in einer anderen Gehaltsklasse, aber auch sie kämpft gegen die Zeit. Wegen umstrittener Hochwasserhilfen für ihr Haus am Hang, das nicht am Wasser steht, wackelt ihr Stuhl. Jeden Tag könnte ihr Chef, Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), sie entlassen. Sie muss aber noch sieben Wochen lang durchhalten, um eine Millionen-Pension zu kassieren.

Dabei stünde die Politikerin, würde sie jetzt arbeitslos, keineswegs im Regen. Ihr steht ein Übergangsgeld in Höhe von 65.000 Euro zu. Wenn sie gleich geht. Zögert Weber aber den Rücktritt - oder ihr Chef die Entlassung - hinaus, steht ihr bedeutend mehr zu. Sie wäre dann drei Monate und 273 Tage im Amt und hätte Anspruch auf eine stattliche Pension, nämlich 4055 Euro. Auf zwanzig Jahre hochgerechnet, sind das etwa eine Million Euro. Haben oder nicht haben, das ist hier die Frage. Sekt oder Selters?

In ganz anderen Dimensionen müsste sie denken, wäre sie geblieben, was sie früher einmal war. Eine Zahnarzthelferin. Rainer Berger von der Gewerkschaft Verdi in Chemnitz rechnet vor, was ein Mitglied die Berufsgruppe in Sachsen bekommt, wenn es in den Ruhestand geht. Die Zahnarzthelferin, 65 Jahre braucht nicht vier, sondern über vierzig Jahre, damit sie an ihrem Lebensabend monatlich 892 Euro brutto mit nach Hause nehmen darf. In den vergangen zehn Jahren hätte ungefähr 1200 bis 1400 Euro monatlich brutto verdient. In dieser Zeit hätte eine Ministerin Weber, ohne zu arbeiten, schon die erste halbe Million Euro gemacht, vorausgesetzt, sie tritt zum „richtigen" Zeitpunkt zurück. Natürlich kann unsere Modell-Zahnarzthelferin auch fünf Jahre früher in Rente gehen, müsste dann aber mit einer Kürzung von 18 Prozent leben. Ihr blieben noch 731 Euro monatlich.

Dafür hätte die Helferin über viele Jahre hinweg fleißig Beiträge gezahlt. Das muss eine Ministerin nicht. Von ihren 9421 Euro Gehalt braucht sie keinen Cent in die Rentenkasse zu zahlen.

Dennoch stehen der Sozialministerin harte Wochen ins Haus. 53 Tage muss sie sich im Amt halten. Dann gewinnt sie das Millionenspiel.
(Johannes Fischer und Eva Prase)