Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 19.06.2003
In Zschopau hat sich etwas bewegt
Der Fatt Weber und die „Versöhnung mit der Staatsmacht"? - Kommentare und Forderungen nach dem Rücktritt
Dresden/Zschopau. Seine Heimatstadt sei gewöhnlich von einer „gewissen Lethargie geprägt". Frieder Meyer, im Hauptberuf Zahnarzt und ehrenamtlich Vize-Oberbürgermeister in Zschopau, stellte in den vergangenen Wochen eine positive Veränderung fest. „Wenn ich die Menschen, wie am Dienstag auf dem Markt, beim intensiven Zeitungsstudium erlebe und deren lebhafte Reaktionen zur Kenntnis nehme, dann hat sich etwas zum Positiven bewegt bei uns.”
Erregt hat die Zschopauer der Fall Weber, und Meyer darf für sich in Anspruch nehmen, zur Aufklärung wichtige Anstöße gegeben zu haben.
„Die Medien haben das zurecht gerückt", reicht der Fraktionsvorsitzende des „Bundes Freier Wähler" die Anerkennung weiter, „was eigentlich die Politik hätte machen müssen". Versöhnung also mit der Staatsmacht, der man zugetraut hatte, eine der Ihren bis zum Erreichen des sicheren Hafens zu stützen?
Zuviel war in den vergangenen dreieinhalb Wochen zusammen gekommen, um die vermeintliche Taktik durchzuhalten: Webers ursprünglich hartnäckige Weigerung, ihre Fluthilfe zurückzuzahlen, dann der Freispruch durch die eigene Regierung und die Bereitschaft, doch zu zahlen, der Filz mit Zschopaus Oberbürgermeister Klaus Baumann, die halbseidenen Erklärungen zur Nutzung von Dienstwagen, Handy und Privateinsatz des Fahrers, die Rebellion an der CDU-Basis mit dem kompletten Austritt eines Ortsverbandes, die Rückgabe von Fluthelfer-Orden, Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, der Vorwurf von „Dreiecksgeschäften" bei der Nutzung von Landtagsmitarbeitern und vor allem der Verdacht, die Ministerin solle so lange im Amt gehalten werden, bis sie ihren Pensionsanspruch gerettet hat. Das wäre am 27. Juli der Fall.
Spätestens mit ihrem Nervenzusammenbruch vor anderthalb Wochen erhielt die Affären-Serie eine neue Dimension. Weber musste akut psychiatrisch behandelt werden. Später berichtete die Staatskanzlei von Suizid-Gefahren. Eine Ministerin, die eine Selbstmord-Gefährdung aus der Nervenklinik berichten lässt: Das hatte es in Deutschland noch nie gegeben. Längst war klar, dass der Ministerpräsident nun handeln musste, trotz oder gerade wegen der pikanten Zuspitzung.
Inzwischen hatte nämlich Karl Nolle, der auch diesen Skandal akribisch begleitete, neue Anfragen gestellt, die sich mit der Vergangenheit Webers vor 1989 beschäftigten.
Von einer „hoch anständigen Entscheidung Webers" sprach CDU-Fraktionsvorsitzender Fritz Hähle. „Kein Bauernopfer, sondern Kabinettsreform", fordert Peter Porsch, PDS-Fraktionsvorsitzender im Dresdner Landtag. Porsch kritisiert die Trennung von Weber als zu spät. Allerdings hatte der Oppositionschef bei Bekanntwerden der Affäre eine gründliche Prüfung verlangt...
„Es hätte nie so weit kommen dürfen, dass sich die Affairen zu menschlichen Tragödien entwickeln konnten", hält SPD-Fraktionschef Thomas Jurk dem Ministerpräsidenten vor, zu lange gezaudert und gezögert zu haben. Der Zerfall des Übergangskabinetts Milbradt sei in vollem Gange, meint Jurk und kritisiert, dass der Regierungschef nicht sofort eine Nachfolgelösung anbietet.
Frau Weber sei nach der Befreiung von der Last des Amtes eine schnelle Genesung zu wünschen, beschreibt Grünen-Sprecher KarlHeinz Gerstenberg den Rücktritt als „Spät, aber nicht zu spät". Gerstenberg fordert aufgrund der Diskussion um Webers Pensionsanspruch, auch Abgeordnete und Minister in das Rentensystem einzubeziehen. Als „Akt der politischen Hygiene" bezeichnet FDP-Vorsitzender Holger Zastrow deri Rücktritt und schlägt eine Kabinettsumbildung unter Einschluss von Wirtschaftsminister Gillo und Innenminister Rasch vor.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Chemnitz dauern an, das gilt auch für Zschopaus OB Klaus Baumann wegen Verdachts auf Betrug. Baumann hatte den Fluthilfeantrag Webers befürwortet. Der Bund der Steuerzahler warnte Ministerpräsident Milbradt vor „Trickspielen mit dem Ministergesetz". Es sei zu befürchten, dass die Ministerin trotz ihres Rücktritts nicht leer ausgehe, meinte Thomas Meyer, der sächsische Verbandspräsident.
(Hubert Kemper und Johannes Fischer)