Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 19.06.2003

Ein Stück Glaubwürdigkeit

Milbradt zog im Fall Christine Weber die Reißleine
 
DRESDEN. Es gibt Minister-Rücktritte, die Bedauern auslösen. In diesen Fällen erfreute sich der Politiker hoher fachlicher Wertschätzung und im Idealfall auch Beliebtheit. Christine Webers Abtritt von der großen Bühne löst Erleichterung aus. Die Schuhe, in die sie mit überhöhtem Ehrgeiz geschlüpft war, hatten sich spätestens im Amt des Sozialministers als zu groß erwiesen. Opfer extremer Launenhaftigkeit waren vor allem ihre Mitarbeiter. Intern gedemütigt, nach außen als unfähig abqualifiziert, werden sie Webers Ablösung als Befreiung empfinden.

Erleichtert wird auch der Regierungschef sein. Für Georg Milbradt war die Sozialministerin zunehmend ein Sicherheitsrisiko, auch für seine eigene Reputation. Als Quoten-Frau ins Amt gehievt brachen spätestens mit der ersten Veröffentlichung über Webers einnehmendes Wesen alle Dämme. Der Ministerpräsident wartete vergeblich auf ein Abebben der Flut der Empörung. Bundesweit regte sich Unmut über die Abgreif-Mentalität, die Heimatbasis muckte gegen die Führung auf, und neue Vorwürfe ließen die Einschläge auch für den Parteivorsitzenden näherrücken.

Der Plan, mit einem Kompromiss-Kabinett bis 2004 durchzuhalten, stand mit der Berufung Webers vom Start weg auf tönernen Füßen. Angst vor einem Domino-Effekt, aber auch menschliche Rücksichtnahme, hinderten Milbradt an einem kurzen Prozess. Die Eigendynamik des Falls folgte bekannten Mustern. Weber kam nicht mehr aus den Schlagzeilen. Die fielen einhellig schonungslos aus. Ihr Auftreten galt als schrill, von tiefem Misstrauen und Medienscheue geprägt. Stets ihr persönliches Schicksal beklagend und den Fall ins soziale Elend fürchtend, wartete sie auch in Fraktion, Partei und Kabinett vergeblich auf Solidarität.

Zwei Tage vor einer Landtagssitzung, in der die Opposition die „schwindende Leistungsfähigkeit des Kabinetts Milbradt" debattieren will, zog der Ministerpräsident die Reißleine. Nur kurzfristig hatte der Machtinstinkt Milbradt verlassen. Mit der Trennung von seiner Sozialministerin vor dem Stichtag 27. Juli vermeidet er nun den Geruch von Vetternwirtschaft bei der Altersversorgung seiner Kollegin.

Der Sturz dürfte ein geteiltes Echo auslösen.

Der Sturz der Karriere-Frau dürfte im Erzgebirge ein geteiltes Echo auslösen. Selbstgerecht nutzte Weber ihr Amt für sich und für ein Geflecht von Abhängigkeiten. Nun entsteht eine Lücke, die bei einigen in der Region Absturz-Ängste auslöst. Die politischen Widersacher dagegen haben längst die Kraft der „vierten Macht" zu schätzen gelernt. Die Medien haben der Politik geholfen, Verdrängungsreflexe abzustellen, die auch aus Furcht um die eigene Position resultierten. Nur ein Teil der Vorwürfe, die gegen Weber bekannt waren, fanden den Weg in die Zeitung.

Ein Stück Glaubwürdigkeit ist mit dem Rücktritt Webers wieder hergestellt. Milbradt hat die Weichen nun auf wichtigere Themen umgelegt. Ob diese aufgegriffen werden, hängt auch von der Entscheidung über die Nachfolge ab. Offensichtlich verlangt das interne Austarieren die Berufung einer Frau. Allerdings nach der jüngsten Erfahrung nicht um jeden Preis.
(Hubert Kemper)