Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland, 20.06.2003

Tragisch, aber kein Einzelfall

Ministerin Weber lässt Ministerpräsident Milbradt erstmals Opfer seiner eigenen Taktik werden
 
DRESDEN. Nach einem Krankenbesuch von Ministerpräsident Georg Milbradt reichte die umstrittene sächsische Sozialministerin Christine Weber ihren Rücktritt ein. Personalprobleme in der Landesregierung sind damit keinesfalls gelöst.

Als Kurt Biedenkopf einmal im kleinen Kreis und bei guter Laune gefragt wurde, ob er denn auch eine Schwäche eingestehen könne, antwortete er: »Die Personalpolitik«. Welche Kontinuität in Sachsen, ließe sich ausrufen! Nach nur einem Jahr Amtszeit offenbart nun auch Nachfolger Georg Milbradt diese Schwäche. Denn der Rücktritt von Sozialministerin Christine Weber ist kein abgehobener Einzelfall. Er offenbart die Fragwürdigkeiten, die schon vor Jahresfrist bei der Kabinettsbildung in Sachsen diskutiert wurden. Der Fall Weber trägt nur besonders tragische Züge.

Nur ein Opfer des Peter-Prinzips

Eine Ministerin, die in einem geheim gehaltenen Krankenhaus, depressiv und suizidgefährdet, ihr Rücktrittsgesuch verfasst, verdient ein Minimum an Mitgefühl. Christine Weber ist im Grunde ein typisches Opfer des Peter-Prinzips, im bekannten Klassiker der »Hierarchologie« des gleichnamigen Autors beschrieben. Der Selbstkontrolle entzogen, steigen Menschen die Karriereleiter immer bis zur Stufe der Überforderung hinauf. Dort haben dann sowohl Vor- als auch Nachgesetzte eine Art Entsorgungsproblem. Die Ministerien sind voll von solchen »seitlichen Arabesken« und »geräuschlosen Sublimierungen«.

Eigentlich hatten sich Beobachter schon bei der Kabinettsbildung 1999 unter Kurt Biedenkopf gefragt, was Frau Weber ministrabel mache. Sie löste damals die langjährige Gleichstellungsministerin Friederike de Haas ab, eine für sächsische CDU-Verhältnisse durchaus unbequeme Frau. Empfohlen hatte sie sich möglicherweise als sozialpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Doch hier wie auch als Vorsitzende des Landesjugendhilfeausschusses fiel die gelernte Zahnarzthelferin eher durch eifernde Reden als durch integrative Führungsqualitäten auf. Allein schon ihr Tonfall war geeignet, bei der Opposition Aggressionen zu wecken.

Wie ein Fremdkörper im eigenen Haus muss sie sich nach ihrer Berufung zur Sozialminsterin durch den neuen Ministerpräsidenten Georg Milbradt gefühlt haben. In keinem anderen sächsischen Ministerium kann man jene Art sozialen Zusammenhalts beobachten, der im Sozialministerium herrscht. Vorgänger Hans Geisler galt geradezu als Vaterfigur. Wie paralysiert wirkte die Arbeit des Hauses nach Webers Amtsantritt. Die Ministerin befand sich im Grunde ständig in der Defensive. Schlagzeilenträchtige Themen wie die Kinderbetreuung oder das Finanzdesaster des Landeswohlfahrtsverbandes schienen am Ministerium vorbeizulaufen. Von einer Einmischung in die bundesweit diskutierten Grundsatzprobleme etwa des Gesundheitswesens gar nicht zu reden.

1999 hatte sich der damals arbeitslose Ehemann Christine Webers das Leben genommen. Sie selbst war zu Beginn dieses Jahres für viele Wochen schon einmal krank. Wo andere eine Hausmacht zumindest im Kreisverband ihrer Partei haben, ist Frau Weber von Neidern und Gegnern umgeben. Die acht Mitglieder des CDU-Ortsverbandes Deutscheinsiedel im Erzgebirge traten aus der Partei aus, als sie von der fragwürdigen Inanspruchnahme von Fluthilfegeldern durch Frau Weber erfuhren.

Es schien, als hätten auch zahlreiche Unionsfreunde nur auf eine Weber-Affäre gewartet. Wie so oft bei vergleichbar angeschlagenen Personen des öffentlichen Lebens wird dann auch scharf nachgewaschen. SPD-Chefaufklärer Karl Nolle will gleich einen SED-Aufnahmeantrag von Christine Weber und Schlimmeres noch aus dem Jahr 1989 entdeckt haben. Hier enden allerdings Tragik und Mitgefühl. Wenn eine Ministerin erst durch eine Häusle-Affäre in unkoscheren Flutgeldern untergeht und nicht wegen politischer Fehlleistungen, ist etwas faul am System.

Eine Dankesschuld als Berufungsgrund

Am System Milbradt zum Beispiel. Eingestandenermaßen hatte er im Mai 2002 seine Ministerriege eher unter den Aspekten der Ruhigstellung von Flügeln und Lobbyinteressen denn nach Leistungskriterien besetzt. Im Falle Weber sprach damals jeder nur von Dankesschuld an eine, die an der Seite Milbradts gegen Biedenkopf gezickt hatte. Für andere Minister, hinter denen von Anfang an ein Fragezeichen steht, gilt Ähnliches.

Wirtschaftsminister Martin Gillo hat zwar auch Psychologie studiert, tappst aber dennoch umher wie der sprichwörtliche Elefant auf Meißner Porzellan. Wissenschafts- und Kunstminister Matthias Rößler hat im eigenen Haus ähnliche Probleme wie Frau Weber. CDU-Fraktion und Ministerpräsidenten stehen spätestens seit 1994 vor der Frage, wo er wohl den geringsten Schaden anrichten könnte. Innenminister Horst Rasch gilt vielen als zu gutmütig, Kultusminister Karl Mannsfeld ist zwar kommunikativer als Vorgänger Rößler, hat aber von Pädagogik ebenso keine Ahnung. Der Fall Weber müsste also Alarm beim Ministerpräsidenten auslösen. Ganz ohne Minister kommt auch der faktische Alleinregierer Milbradt nicht aus.
(Michael Bartsch)