Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland - Online, 26.04.2003

Debatte um »Grundfesten« der Sozialdemokratie

SPD-Linke sehen Osten bedroht und wollen Zugeständnisse beider Seiten
 
Ostdeutsche SPD-Politiker befürchten gravierende Auswirkungen der »Agenda 2010« auf ihre Bundesländer. Trotzdem gibt es Uneinigkeit darüber, wie mit den Plänen des Kanzlers umzugehen ist.

Die Zeit diplomatischen Zartgefühls ist vorbei in der SPD. »Das ist eine politisch brisante, zugespitzte Situation«, sagte Martin Krems. Er ist einer der Sprecher des »Forums Demokratische Linke 21« (DL21) in Sachsen-Anhalt. Der Gesprächskreis der SPD-Parteilinken tagte Donnerstagabend – ein Termin, der zu anderen Zeiten nicht für viel Aufmerksamkeit gesorgt hätte.

Derzeit ist jedoch alles anders. Während im nahe gelegenen Hannover das Führungstrio der Partei beriet, drängten sich in dem Beratungsraum im Magdeburger Landtag »mehr Nichtmitglieder als Mitglieder«, wie ein Teilnehmer erklärte. Selbst Fernsehteams wollten gerne drehen – wurden aber abschlägig beschieden. In der SPD toben, wie Krems von den SPD-Linken erklärte, »scharfe Auseinandersetzungen«; und offenkundig ist nicht jedes Wort für den Marktplatz bestimmt.

Seit März wird in der SPD über die Pläne gestritten, die Bundeskanzler Gerhard Schröder in der »Agenda 2010« unterbreitet hat: radikale Kürzungen beim zweiten Arbeitsmarkt, Abbau des Kündigungsschutzes, Privatisierung des Krankengeldes. Für die Parteilinke geht das an die Substanz. Der Streit um die Agenda sei »kein Ost-West- und auch kein Rechts-Links-Problem«, sagte Karl-Heinz Reck, Ex-Kultusminister und Landeschef von DL21 in Sachsen-Anhalt. Es gehe um nicht weniger als um »die Grundfesten der Sozialdemokratie«.

Allerdings weisen nicht nur regionale SPD-Politiker darauf hin, dass die Einschnitte vor allem die Ostländer hart treffen würden. Dort würden sich »viele Vorschläge besonders negativ« auswirken, sagte Andrea Nahles, die Sprecherin der der »Demokratischen Linken 21«. So gebe es sechs- bis zehnmal so viele Empfänger von Arbeitslosenhilfe wie im Westen; die Fusion mit der Sozialhilfe führe also hier zu »besonderen sozialen Härten«.

Ähnliches gilt für den zweite Arbeitsmarkt. Dieser müsse weiter gefördert werden, meinte SPD-Landeschef Manfred Püchel. Bemühungen um eine bessere Vermittlung werden wenig Erfolg haben, wenn, wie in Sachsen-Anhalt, 280000 Arbeitslose auf 10000 freie Stellen kommen. Der sächsische SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle befürchtet sogar, dass Schröders Agenda Arbeitsplätze vernichtet. So werde mit einer Kürzung der staatlichen Zuweisungen die Nachfrage gedämpft. Das sei »das Gegenteil von dem, was man eigentlich will«.

Parteilinke wie Nahles fordern daher ein Vorziehen der im Solidarpakt ab 2011 geplanten Investitionsmittel. Allerdings machte sie auch deutlich, dass eine »Agenda 2010 mit Sonderregelungen Ost« nicht sinnvoll sei. Sie forderte Änderungen, die »in Sachsen-Anhalt genauso wie in Gelsenkirchen und in der Westpfalz« greifen. Strittig bleibt innerhalb der Landespartei Sachsen-Anhalt, auf welchem Wege dem Kanzler solche Zugeständnisse abgetrotzt werden sollen. Das Mitgliederbegehren etwa sei »vollkommen kontraproduktiv«, sagte Landeschef Püchel: »Das spaltet nur.« Mitinitiator Reck dagegen hält angesichts der scharfen Debatte »alle satzungsgemäßen Formen der Auseinandersetzung« für gerechtfertigt: »Das ist eine sehr demokratische Sache.«

Zur Beilegung des Konflikts fordert Nahles, dass auf dem Sonderparteitag am 1. Juni beide Seiten nachgeben. Wenn Schröder seine Vorhaben gegen starken Widerstand in der Partei durchsetze und diese zu diesem Zweck mit einer Abstimmung über seine Person »in den Schwitzkasten« nehme, sei dies ein »Pyrrhussieg« für kurze Dauer. Um langfristig regieren zu können, brauche der Kanzler die »Gefolgschaft der eigenen Anhänger«.

Nahles ließ aber auch Kompromissbereitschaft bei Linken durchblicken. Es würde einem »Verlust« gleichkommen, wenn diese den Kanzler »auf der ganzen Linie widerlegen« könnte. Eine Kompromisslinie müsse auf der für Montag geplanten Sitzung des Parteivorstandes deutlich werden.
(Hendrik Lasch)