Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland - Online, 17.04.2003

»Es geht darum, Schweinereien zu verhindern«

Basis und Mandatsträger bei »Agenda 2010« und Mitgliederbegehren gespalten
 
In der sächsischen SPD gibt es Kritik an der »Reformagenda« des Bundeskanzlers. Doch auch das Mitgliederbegehren spaltet Basis und Mandatsträger.

Ein »Zeichen der Hilflosigkeit« – so sieht Martin Dulig das Mitgliederbegehren, das seit Tagen in der SPD für Aufruhr sorgt. Der 29-jährige ist Vorsitzender der Jusos in Sachsen. Aber die Nachwuchstruppe der Sozialdemokraten hat gestern alle Parteimitglieder im Freistaat aufgerufen, die Befragung zu unterstützen.

Die bislang in der SPD-Geschichte einmalige Form basisdemokratischer Willensbildung wird vor allem von der Parteilinken als letztes Mittel angesehen, den von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der »Agenda 2010« angekündigten Kahlschlag des Sozialsystems zu kippen. Doch sowohl die so genannten Reformen als auch das Mitgliederbegehren sorgen, wie in der gesamten Partei, auch bei den sächsischen Sozialdemokraten für Turbulenzen.

Neben dem Landtagsabgeordneten Karl Nolle, einem der ersten Unterzeichner des Aufrufs, hat sich auch Fraktionschef Thomas Jurk inzwischen für die Mitgliederbefragung ausgesprochen – aus »Gründen der innerparteilichen Demokratie«. Die Basis müsse bei »solchen grundsätzlichen Fragen« ihre Meinung äußern können. Jurk erklärte zugleich, er teile zwar nicht alle Positionen der Initiatoren, aber für Ostdeutschland müssten »zusätzliche Anstrengungen« unternommen werden.

Die ostdeutsche Komponente vermissen auch mehrere Bundestagsabgeordnete aus der Region Chemnitz. Doch die Mitgliederbefragung empfindet die Chemnitzer Abgeordnete Jelena Hoffmann als »Schießen auf die eigenen Reihen«. Deren Initiatoren hätten die Reformen nicht begriffen, sagte sie der Chemnitzer »Freien Presse«. Ihre Stollberger Kollegin Simone Violka sprach von »reiner Stimmungsmache«. Gerald Thalheim, sächsischer Staatssekretär im Bundes-Verbraucherministerium, bezeichnet Schröders Agenda als »alternativlos«.

Das ist sie nach Meinung der Jusos keineswegs – im Gegenteil. Mehrere Punkte stünden in krassem Widerspruch zum Wahlprogramm, etwa die Einschnitte beim Kündigungsschutz. Auch bei den Themen ABM in Ostdeutschland oder der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe übt Dulig harsche Kritik: »Es geht darum, diese Schweinereien zu verhindern.«

Die Dresdner Bundestagsabgeordnete Marlis Volkmer sieht sogar einen drohenden »Richtungswechsel« in der SPD. Sie hielte es für »gefährlich«, über so fundamentale Fragen nicht zu diskutieren. Allerdings sei das Mitgliederbegehren angesichts der komplexen Probleme »kein geeignetes Instrument«. Die Debatte müsse auf dem für 1. Juni angesetzten Sonderparteitag geführt werden. Volkmer setzt für ein Ankurbeln der Wirtschaft auf eine gestärkte Nachfrage statt auf Leistungskürzungen. Zudem müsse die besondere Situation der Ostländer, wo massenhaft Arbeitsplätze fehlen, mit »Übergangsregelungen« berücksichtigt werden.

»Drohkulissen«, wie sie durch die Verknüpfung der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Kanzlerfrage errichtet würden, lehnt Volkmer ebenso ab wie der Juso-Landeschef. »Das Friss-oder-stirb-Prinzip erlaubt keinen Streit«, meint Dulig, der bei dem Berliner Parteitag selbst Delegierter ist.

Allerdings hat die Bereitschaft zur Konfrontation im sächsischen Landesverband ihre Grenzen. Zwar wirft die Chemnitzer Abgeordnete Jelena Hoffmann den Parteilinken vor, sie »läuten die Ablösung der eigenen Regierung ein«. Das aber werde nicht geschehen, sagt Dulig. Der Streit werde derzeit mit sehr harten Bandagen ausgetragen: »Aber man würde nie und nimmer Schröder stürzen.«
(Hendrik Lasch)