Karl Nolle, MdL
Lausitzer Rundschau, 18.06.1999
Lucassen: Sozialdemokraten brauchen klare soziale Linie
Sachsens DGB-Chef zieht Schlußfolgerung für den Landtagswahlkampf
SACHSEN. Für Sachsens DGB-Chef Hanjo Lucassen (SPD) ist der Fall klar. Von Rentenkürzungen stand nichts im Wahlprogramm der SPD. "Rentenreform ja, aber kein Notopfer der Rentner." Während bei den Bonner Sozialdemokraten munter über Kürzungen bei Rentnern und Arbeitslosen debattiert werde, blieben die Vermögen steuerfrei, schimpft Lucassen.
Das sei den Menschen in Ostdeutschland nicht mehr vermittelbar. Deshalb müssen bei einer Steuerreform die Absenkung der Tarife für Unternehmen durch Besteuerung der Vermögen gegenfinanziert werden.
Verbreitete UnsicherheitenFür Lucassen steht fest, daß die sächsischen Sozialdemokraten in ihrem Landtagswahlkampf eine klare soziale Linie fahren müssen. Das ist zumindest seine Schlußfolgerung aus dem Wahlergebnis des vergangenen Wochenendes, als die SPD in Sachsen bei den Kommunalwahlen in den Landkreisen mit 18,7 Prozent und den Europawahlen mit 19,6 Prozent auf den dritten Platz hinter der PDS zurückfiel.
Interessant ist die Aussage Lucassens deshalb, weil der Gewerkschaftschef auf der SPD-Landesliste mit ganz vorn steht und zum sogenannten unmittelbaren Wahlkampfteam von Spitzenkandidat und Landesvorsitzendem Karl-Heinz Kunckel (SPD) gehört.
Lucassen soll im Wahlkampfteam die Arbeitnehmerinteressen personifizieren. Das macht er denn auch und sieht "verbreitete Unsicherheiten in der ostdeutschen Bevölkerung über den weiteren Kurs der SPD" als entscheidende Ursache für die Wahlniederlage. Allein mit Sprüchen von der Neuen Mitte seien hier keine Wahlen zu gewinnen, warnt Lucassen. Das Schröder/Blair-Papier habe weitere Wähler verunsichert. Wenn sich dieser Kurs fortsetze, befürchte er weitere Mißerfolge.
Gegenspieler und Mitstreiter in Kunckels Wahlkampfteam, der Druckereiunternehmer Karl Nolle (SPD), hält von den Äußerungen Lucassens nicht viel. Das sei PDS-Stil. Von einer munteren Diskussion über die Streichung sozialer Leistungen könne keine Rede sein. Die Bundestagswahl sei nur durch die Umorientierierung auf die Neue Mitte gewonnen worden, sagt Nolle. Was Lucassen fordere, seien alte Rezepte auf neue Probleme. "Der Rückfall in die Vermögenssteuer ist abstrus." Das Schröder/Blair-Papier müsse zwar noch mit Inhalt gefüllt werden, aber es zeige strategisch in die richtige Richtung. Nolle zufolge haben die Gewerkschaften nicht begriffen, daß alles auf den Prüfstand müsse, die Tarifpolitik, die Sozialsysteme, bis hin zur Frage, wie Arbeit entstehe.
Kunckel hält sich zurückLucassen und Nolle sind sich einig, daß vor Beginn des Landtagswahlkampfes noch einmal gesprochen werden muß. Beide sind bemüht, offenen Zwist zu vermeiden. Kunckel, der durch den Gewerkschafter und den Unternehmer in seinem Wahlkampfteam ein Bündnis für Arbeit unter der Fahne der seines Landesverbandes vorexerzieren will, hält sich bislang zurück. Er begrüße die Diskussion, hieß es. In Sitzungen von Landesvorstand und Wahlkampfteam in der nächsten Woche soll versucht werden, wieder eine gemeinsame Linie zu finden.
(Ralf Hübner)