Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz - Stollberger Zeitung, 27.08.2003

Karl Nolle: „Eine Treuhand wäscht die andere"

Dezernent Christoph Herrmann muss sich laut SPD-Politiker möglicherweise wegen Verdachts der Untreue und Bestechlichkeit verantworten
 
STOLLBERG/DRESDEN. Die SPD im Landtag Sachsen fordert ein Antikorruptionsgesetz. Korruption und Amtsmissbrauch standen auch im Mittelpunkt einer Veranstaltung in Niederwürschnitz mit dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion im sächsischen Landtag Karl Nolle, am Donnerstag vergangene Woche. Frank Walenszus sprach mit ihm über die Wirkungen der Antikorruptionsveranstaltung.

Freie Presse: Herr Nolle, sind Sie schockiert über das, was Sie zu der Veranstaltung erfahren haben?

Karl Nolle: Nach 13 Jahren CDU-Alleinherrschaft schockiert mich nur eins, was im Namen der Demokratie im Freistaat Sachsen möglich ist. Landrat Udo Hertwich ist ein Produkt davon. Ich habe mehr als 30 führende Positionen von Hertwich in Wirtschaft und Politik aufgezählt. Ich kann noch eins drauf geben: Hertwich ist Aufsichtsratsvorsitzender des Eduard-von-Winterstein-Theaters in Annaberg. Die Liste lässt sich erweitern. Diese Machtfülle in einer Hand ist unglaublich. Die Arroganz der Macht und der Unfehlbarkeitswahn ist ein Nachäffen des Dresdner christdemokratischen Regierungsstils.

Freie Presse: Sie informierten mit einem Paukenschlag über den rechtswidrigen Verkauf eines Areals für ein neues Werk von Volkswagen in Stollberg. Die Menschen hierzulande freuen sich darauf, möglicherweise in Arbeit zu kommen. Gefährden Sie damit nicht das Vorhaben?

Nolle: Das ist nicht meine Absicht. Ich bin als wirtschaftspolitischer Sprecher froh über jeden neuen Arbeitsplatz in Sachsen und speziell in der strukturschwachen Region Erzgebirge. Die Informationen, die mir vorliegen, lassen jedoch erhebliche Zweifel am rechtlichen Tun des Landratsamtes Stollberg aufkommen, das die Verkaufsverhandlungen geführt hat, obwohl ein schwebendes Rechtsverfahren beim Landesverwaltungsgericht über die Eigentümerschaft des Areals vorliegt. Meine Aussage sollte dazu dienen, Schaden von diesem Investitionsvorhaben abzuwenden. Das Recht ist unteilbar. Die Investition muss auf rechtlich stabile Füße gestellt werden. Das ist auch im Sinne von VW. Mögliche jahrelange Rechtsstreitigkeiten und Prozessrisiken würden Investitionen hemmen und gefährden. Juristisch ist ein rechtskräftiges Rehabilitationsurteil, das hier vorliegt, die höchste Form der Wiedergutmachung stalinistischen Unrechts. Achtung und Respekt vor einem Opfer der Waldheimprozesse und seiner Familie wäre eigentlich angebracht gewesen und nicht kaltschnäuzige Ignoranz nach dem Motto „die Partei hat immer Recht". Ob das nun allen passt oder nicht, nicht schwarze Selbstherrlichkeit oder „Stollberger Landrecht" entscheiden in letzter Instanz, sondern unabhängige Gerichte.

Freie Presse: Schwarze Selbstherrlichkeit - worin äußert sich das?

Nolle: Man sollte doch bitte Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Stollberg braucht neue Arbeitsplätze, dafür setze ich mich ein. Die inkompetente, rechtswidrige und anrüchige Führung des Kreises Stallberg durch Landrat Hertwich setzt das allerdings aufs Spiel. Das hat ja die CDU-Fraktion des Stadtrates Stollberg deutlich zum Ausdruck gebracht. Derzeit sind aus Stollberg in der Medienlandschaft nur negative Schlagzeilen gefragt, da gilt es mit neuen Führungspersönlichkeiten umzukehren. Oder ist das Potenzial der Anderen an seriösen Politikern schon erschöpft? Ich befürchte nach 13 Jahren Parteienfilz in Sachsen sind wir leider noch nicht am Ende von kriminellen Meisterstücken der schwarzen Provinzfürsten, Blockflöten und Wendehälse.

Freie Presse: Herr Nolle, Ihre Initiative eines Antikorruptionsgesetzes zielt vor allem auf die Tätigkeit der Bauämter, die besonders von Korruption gefährdet sind. Sie haben eine „Kleine Anfrage" gestellt, das Bauamt im Landratsamt Stollberg betreffend, die voraussichtlich in der nächsten Landtagssitzung zur Debatte stehen wird Was ist deren Inhalt?

Nolle: Der Korruptionsverdacht und das rechtswidrige Eingreifen in die sächsische Bauordnung von Amtsträgern im Kreis Stollberg am Beispiel des Dezernatsleiters Christoph Herrmann beim geplanten Bau eines Altenpflegeheimes durch das Kreiskrankenhaus Stollberg.

Freie Presse: Worauf begründet sich Ihr Verdacht?

Nolle: Herr Walenszus, es ist doch merkwürdig, dass fünf Tage vor einer Satzungsänderung des Kreistages Stollberg, der ehemalige Geschäftsführer des Kreiskrankenhauses Stollberg mit Wissen und im Zusammenwirken mit Landrat Hertwich, ein Grundstück von der Unternehmerfamilie Stefan Müller für das Kreiskrankenhaus erworben hatte, ohne Vorliegen der erforderlichen Satzungsänderung und Zustimmung des Kreistages. Das Grundstück hatte die Müllerfirma Bass-Immobilien für 250.000 Mark gekauft und nach zwei Jahren für 230.000 Euro verkauft, also zum doppelten Preis an das Krankenhaus, dessen Aufsichtsratsvorsitzender Hertwich war.

Freie Presse: Stefan Müller, ein cleverer Geschäftsmann?

Nolle: Dazu möchte ich mich nicht äußern. Was mich viel mehr bewegt, ist der Vorgang selbst. Die Kreiskrankenhaus gGmbH reichte am 10. Oktober 2002 einen Bauantrag ein und beantragte die Unterschreitung von Abstandsflächen. Der zuständige Bearbeiter notierte zur planrechtlichen Beurteilung: „Unterschreitung Abstandsflächen ... Befreiungsantrag kann nicht befürwortet werden. Eine Zeile weiter lese ich: „nach Ansicht Hr. Herrmann Befreiung erteilen... nach Anweisung vom 13.11. 2002 Hr. Herrmann". Mit einem Antikorruptionsgesetz wäre ein solches gesetzwidriges Handeln von Herrmann nicht möglich gewesen und der feine Herr möglicherweise davor bewahrt worden, sich wegen Verdachtes der Untreue und Bestechlichkeit verantworten zu müssen.

Freie Presse: Ist das Gefälligkeit, Begünstigung oder Hörigkeit gegenüber dem Landrat und dem befreundeten Unternehmer Stefan Müller?

Nolle: Das ist der zutiefst schwarze Filz. Im Wissen der absoluten Allmacht in den gewählten Gremien haben die CDU-Mandatsträger ihre eigene Philosophie zur Demokratie entwickelt. Gerecht und Recht ist, was der Partei nützt. Zum Vorgang Altenpflegeheim in Stollberg hätte eine Befreiung ohne Eintragung einer Baulast auf den Nachbargrundstücken nicht gegeben werden dürfen, auch nicht durch das rechtswidrige Eingreifen des Dezernatsleiters Bau im Landratsamt Stollberg, Herrn Herrmann, der zudem im Auftrag des Landrates gleichzeitig Projektsteuerer für die Kreiskrankenhaus gGmbH ist, die den Antrag stellte und somit für beide Seiten handelte. Ich möchte in meiner Anfrage von der Staatsregierung wissen, ob sie Kenntnis darüber hatte, dass Landrat Hertwich mit der Familie Müller (Verkäuferin des Grundstückes) in dieser Zeit eine gemeinsame Immobilienfirma betrieb und DezernatsIeiter Herrmann im übrigen Vorsitzender des Gutachterausschusses und engster Vertrauter und Jagdfreund des Landrates ist, und deshalb von einem engen Zusammenwirken beier auszugehen ist. Das ist Politik nach Gutsherrenart und Stollberger Landrecht, unter dem Motto, „eine Treuhand wäscht die andere".
(Interview Freie Presse)