Karl Nolle, MdL
Wirtschaftsjournal - 09/2003 - SPEZIAL 2003, 08.09.2003
"Die Pioniere damals waren die vielen Kleinen der Branche"
Zur Situation der Druckindustrie in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt
Von Karl Nolle (MdL), Vorstandsvorsitzender des Verbandes Druck und Medien
in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.
DRESDEN. 13 Jahre deutsche Einheit sind auch 13 Jahre technologische Weiterentwicklung, Marktwirtschaft und Wettbewerb für die ostdeutsche Druckbranche. Dies war verbunden mit einer Halbierung der Beschäftigtenzahl, mit einer Aufsplitterung der ehemalig parteieigenen grafischen Großbetriebe, mit der Reprivatisierung zuletzt 1972 verstaatlichter traditionsreicher Familienunternehmen, mit gelungenen und nicht gelungen Privatisierungen (sprich Verkäufen) durch die Treuhand.
Die Pioniere in dieser Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs Anfang der 90erJahre waren selten die ehemals „Großen“ der ostdeutschen Druckindustrie. Diese entließen Personal in großer Zahl und gingen trotzdem reihenweise in Konkurs, weil sie für den neuen Wettbewerb nicht richtig aufgestellt waren. Die herausragenden Pioniere waren die „Kleinen“ der Branche und hier insbesondere die vielen ehemaligen Handwerksunternehmer, die zur Zeit der DDR nicht mehr als 10 Beschäftigte haben durften, dazu mit schlechterer Entlohnung als deren Kollegen in den Druckkombinaten.
Die langersehnte harte Währung, die DM war da, dafür waren die Kunden (ehemalige volkseigene Betriebe und staatliche Institutionen) weg. Es war zwar nur wenig bzw. so gut wie kaum Eigenkapital vorhanden, dafür aber ungeheurer Elan, Mut und Fantasie zum Sprung in die Marktwirtschaft und in die neue Selbstständigkeit.
Anpassungsfähigkeit und Flexibilität - der Westen kann vom Osten lernen
Nicht auszudenken, wie vergleichsweise die Anpassungsfähigkeit der zufriedenen, gut situierten westdeutschen Brüder und Schwestern in solch einer Situation ausgesehen hätte. Mit leeren Speisekammern kann man eben keine Feste feiern und das Eigenkapital ist die Speisekammer des Unternehmens. Hier im Osten fanden gleich drei Umwälzungen statt: Erstens die Umsteuerung der Gesellschaft von der Kommandowirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft und zur Demokratie. Alles war neu, vom Kontoauszug bis zum Klopapier: zweitens raus mit dem Buchdruck und rein in den modernen Offsetdruck, und das gleich vierfarbig; drittens Bleisatz raus, ja sogar Fotosatz und manchmal Reprografie übersprungen und gleich den Schritt zu DTP und Scannern unter Windows und Macintosh. Auf einmal wurde nicht mehr verteilt sondern verkauft, der Kunde trat als völlig neues Wesen in Erscheinung.
Vom Handwerk zur mittelständischen Druck- und Medienindustrie
Hochachtung vor den Inhabern und Mitarbeitern dieser Unternehmen, die mehr Arbeitsplätze in diesen Aufbaujahren schufen als die „Großen“, die mehr junge Menschen ausbildeten als die kapitalkräftigen Industrieunternehmen, die ihre ganze Kraft und ihr volles persönliches Risiko einbrachten im täglichen Kampf um Umsatzpunkte und Marktanteile.
So entwickelte sich auch ein Teil der ehemaligen Handwerksbetriebe zu leistungsfähigen modernen Druck- und Medienbetrieben, mit bis zu 60 - 70 Mitarbeitern. Diese Unternehmen gehören heute zu den „Leuchttürmen" der noch bescheidenen Branche im Osten.
Die Druckbranche in Ostdeutschland - klein aber oho
Gerade die kleinen Unternehmen aus dem Handwerksbereich waren es auch, die vor 13 Jahren seit Unterstützung des Bundesverbandes Druck den Verband der Druckindustrie Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt e. V. gründeten. Nach und nach kam dann auch ein Teil der größeren Treuhandbetriebe und reprivatisierter Unternehmen dazu. Mit dem Kauf der Treuhandbetriebe durch westdeutsche Unternehmen, wurde jedoch, bis auf wenige Ausnahmen die Mitgliedschaft im Solidarverband gekündigt, nicht selten von Unternehmern, die aktive Verbandspolitik im Westen Deutschlands propagierten und sich dort für die Tarife einsetzten, die Ihre Dependancen im Osten nicht zahlen sollten.
Auch das ist eine Tragik der Wiedervereinigung, die nicht nur mit der Tarifgebundenheit und den schneller als die Produktivität gestiegenen Löhnen erklärt werden kann. Die Euphorie der blühenden Landschaften wurde damals in die Verhandlungen zu Stufentarifen von den Westverbandsvertretern eingebracht. Diese schnelle, nicht an die Entwicklung der Produktivität und Leistungsfähigkeit gekoppelten Entwicklung der Stufentarife war eine der schwersten wirtschaftspolitischen Hypotheken nach der Wende. Hier wurden en gros ungedeckte Blankoschecks ausgestellt und unrealistische Erwartungen geweckt.
Unbefriedigender Organisationsgrad der Unternehmen
Der so entstandene geringe Organisationsgrad der ostdeutschen Druckbranche mit etwa 15 % (gegenüber 50 % im Westen Deutschlands), geriet immer mehr zum Nachteil der hiesigen Branche, dies ist insbesondere in der Zeit des gegenwärtigen stattfindenden Strukturwandels und des veränderten Kundenverhaltens spürbar. Inzwischen gelten im Osten de facto Tarife nur noch für einen erlesenen Teil der Druck- und Medienunternehmen. Das andere regelt mit der Zeit der Markt. Und wer gute Leute haben will, muss sie sowieso gut bezahlen.
Im Osten sind Unternehmen innovativer als im Westen
Die Wende und die Zeit danach ist eine einzige Dauerprüfung gewesen, und die Ostdeutsche Druck- und Medienindustrie hat sie mit Bravour bestanden. Im Osten sind die Unternehmen der Branche innovativer als im Westen.
Heute läuft in unserer Branche deutschlandweit eine neue strukturelle Revolution ab. Aus Druckern wurden Komplettanbieter, die auf der Grundlage modernster, digitaler Spitzentechnik und mit dem unterschiedlichstem Datenmaterial den Kunden jeden Wunsch erfüllen, ob Print oder Nonprint. Wer das nicht kann, nicht will, wem das zu teuer oder nicht lohnend genug ist, wer nicht mitgehen will, der gibt faktisch auf. Der Zug rollt und lässt sich nicht mehr aufhalten.
Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit
Unter solchen Bedingungen hätten manche Schönwetterunternehmer im Westen schon lange die Flinte ins Korn geworfen. Im Klartext: Es gibt in der Druckbranche der alten Länder prozentual wesentlich mehr Pleiten als im Osten.
Die Wahl aufzugeben, haben hiesige Mittelständler oft gar nicht. Schließlich ist in die Modernisierung der Firmen zumeist viel fremdes Geld gesteckt worden, das verzinst und getilgt werden muss. Bei einer Gewinnmarge von nur zwei bis drei Prozent verkauft ein Westunternehmer seinen Laden und setzt sich zur Ruhe. Im Osten müssen die Seniorchefs die Zähne zusammenbeißen und wegen ihrer Schulden länger am Ball bleiben. Lange Gelegenheit, um gut zu verdienen gab es in der Vergangenheit, noch nicht. Erfreulich ist deshalb, dass die Ost-Branche im vergangenen Jahr weniger Pleiten hinnehmen musste als vor allem die kleinen Betriebe im Westen.
Steigende Mitarbeiter und Lehrlingszahlen, stagnierender Markt
2002 war für die ostdeutsche Druckbranche ein Jahr mit Licht und Schatten. Zur erfreulichen Bilanz zählt, dass die Beschäftigtenzahl in den rund 1.500 Betrieben der Branche der neuen Bundesländer mit reichlich ein Prozent angewachsen ist. Momentan gibt es hier knapp 20.000 Mitarbeiter. Positiv ist auch, dass in den Druck- und Medienbetrieben - weil ausreichend Spezialisten auf dem freien Arbeitsmarkt fehlen - immer stärker ausgebildet und qualifiziert wird. Vorausschauende Personalplanung ist für die ostdeutschen Druck- und Medienunternehmen kein Fremdwort. Sie wissen, ihr wichtigstes Kapital sind die Menschen, die bei ihnen arbeiten und der Geist in dem sie es tun. Deshalb ist es nicht verwunderlich wenn seit längerem die Zahl der Lehrverträge um jährlich 10 bis 12 Prozent steigt.
Die technische Ausstattung selbst in Mini-Unternehmen befindet sich zumindest auf Westniveau. Trotzdem - die Entwicklung stagniert, die Umsätze sind zu gering, die Preise fallen, die Gewinne sind rückläufig, der Markt wächst nicht. Die Druckbranche ist - im Osten wie im Westen - eine Art Seismograph der aktuellen wirtschaftlichen Situation. Ein Blick in die Antragsbücher der Druckereien genügt um den Gesamtzustand der Wirtschaft im Lande beurteilen zu können. Die Konjunkturflaute ist unübersehbar.
Leider wird nicht alles im Osten gedruckt, was hier gebraucht wird
Und es gibt auch noch spezifische ostdeutsche Marktprobleme, die die Situation noch verschärfen. Nach wie vor ist es so, dass viele hiesige Unternehmen ihre Werbedrucksachen nicht in Leipzig, nicht in Sachsen und nicht in Ostdeutschland drucken lassen, ihre Konzernzentralen in Düsseldorf oder München haben dort ihre Spezies. Selbst der Touristikbereich der Messestadt wirbt für Leipzig mit Büchern, Broschüren und Bildbänden, die nicht in Leipzig hergestellt worden. Um solches Agieren zum Nachteil der Region zu verschleiern, ist es manchmal üblich, im Impressum den Nachweis, wo und von wem das Buch gedruckt wurde zu „vergessen“, ganz entgegen dem sächsischen Pressegesetz. Manchmal tauchen auch Namen von Druckereien auf, die es in keiner Branchenliste gibt.
Leipziger Bildband zur Olympiabewerbung – „Made in München“
Am Preis, an der Qualität oder an der Schnelligkeit der hiesigen Firmen kann das nicht liegen. Wenn sogar eine Festschrift „50 Jahre Wiederaufbau Dresden“ nicht in der sächsischen Landeshauptstadt. sondern in Bayern hergestellt wird, wenn 9 von 10 Bildbänden über Dresden nicht in Dresden gedruckt werden, ist das nicht nachvollziehbar. Wären vergleichbare Produkte, beispielsweise über München, in Leipzig oder Dresden hergestellt worden?
Die Spitze dieser Schräglage ist ein Produkt der gemeinsamen Olympiavermarktungsgesellschaft, Gesellschafter Freistaat Sachsen und Stadt Leipzig. Während hiesige Drucker zur Olympia-Bewerbung Leipzigs in erheblichem Maße und teilweise kostenlos gesponsert, Drucksachen fertigten, wurde der wichtige und attraktive Bewerber-Bildband nach München vergeben. Die darin dargestellten Unternehmen warben jedoch für diese Region und für die hier vorhandene, beachtenswerte Leistungsfähigkeit, die keinen Vergleich scheuen muss. Dass das so ist, muss sich nur noch herumsprechen. Dazu wird auch dieses „Special“ des Wirtschaftsjournals beitragen, da bin ich mir sicher.
(Verband Druck und Medien – Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt e. V. Karl Nolle)