Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 23.09.2003

Sachsens SPD tröstet sich mit Galgenhumor

Kritik an Regierungspolitik - Schröder blickt gen Westen
 
DRESDEN. Sachsens SPD im Jammertal: Ein Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2004 wird noch gesucht, der eigene Kanzler verprellt die restlichen Wähler im Osten, und dann ein solches Ergebnis wie das am Sonntag in Bayern. Martin Dulig, Landesvorsitzender der Jungsozialisten, hilft sich mit Galgenhumor. In der Tat sei es beängstigend zu erleben, dass die SPD bei den letzten Landtagswahlen stets rund zehn Prozent eingebüßt habe. In Sachsen erhielten die Sozialdemokraten vor vier Jahren 10,7 Prozent.

Tiefer geht's nimmer, mögen die verzagten Genossen Trost suchen. Doch Dulig gibt sich als Realist und relativiert die Fixierung auf Wunschkandidat Wolfgang Tiefensee. „Zu einer erfolgreichen Wahl zählen mehr Bedingungen als ein Spitzenkandidat", löst sich der Juso vom Wunderglauben, der einige Genossen erfasst hat. Der Blick geht nach Berlin. Dort ortet auch Dulig das Zentrum eines Übels, das die Erfolglosigkeit der Partei erklären mag. Die SPD hat ein Glaubwürdigkeitsproblem", stellt der 29-jährige fünffache Vater fest, Sie lasse das Soziale vermissen und verliere deswegen ihre Stammklientel.

„Erschreckend" sei es, dass seit der Regierungsübernahme von Gerhard Schröder ioo.ooo Mitglieder ihr Parteibuch abgegeben haben. Karl Nolle sagt das, der sich früher rühmte, ein Freund des Kanzlers zu sein. Im ersten Halbjahr hat sich die Austrittswelle verstärkt. 30.000, so viele wie im kompletten Jahr 2002, kehrten der Partei den Rücken. Zu Willy Brandts Zeiten habe die SPD 500.000 Mitglieder hinzugewonnen, resümiert Nolle. „Wenn ich mein Unternehmen so führen würde wie Schröder die Regierung, wäre ich nach 14 Tagen Pleite", nimmt er den Berliner Zick-Zack-Kurs aufs Korn. Zurückhaltung kennt Nolle nicht, auch wenn er die Stimme des Ostens erhebt. Schröders Blickwinkel sei der Richtung Westen, dort, wo das größte Wählerreservoir vorhanden ist. SPD-Amtsträger aus dem Osten, die energisch auf den Kanzler einwirken könnten, erkennt Nolle nicht. "Das ist eine lustige Truppe, die unkoordiniert Politik macht."

Für das enfant terrible des Dresdner Landtages steht fest: Die Zusammenlegung von Sozialund Arbeitslosenhilfe entzieht den neuen Bundesländern rund eine Milliarde Euro Kaufkraft und verstärkt die Arbeitslosigkeit. Angesichts des Finanzdesasters in Berlin erwartet Nolle, dass der Solidarpakt 11 nicht die abgesprochenen Transferleistungen von 16o Milliarden Euro bis 2019 bescheren wird. „25 Milliarden Euro stehen unter Haushaltsvorbehalt. Die werden Stein brück und Co. ihrer eigenen Not wegen einbehalten."

Nolle und Dulig sind sich einig, dass die Menschen in der Widersprüchlichkeit der Reformpläne den Durchblick verloren haben und ihre Partei das Gerechtigkeitsempfinden der Wähler auf eine harte Probe stellt. Für Dulig spielt noch eine andere Sorge mit: „Mit dieser Politik verbauen wir uns den Zugang zu den jungen Menschen."

Hart im Nehmen muss sein, wer in Sachsen die FDP auf Vordermann bringen will. Holger Zastrow, der als Vorsitzender und Werbefachmann ansonsten jeden politischen Vorgang mit seinem Kommentar versieht, hielt sich nach dem verheerenden Ergebnis der FDP in Bayern lieber zurück. „Nicht zu verglei eben" seien die Verhältnisse in Bayern mit denen in Sachsen, zog Zastrow gestern einen scharfen Trennstrich. Seine Landespartei habe ihren Erneuerungsprozess vollzogen, sie sei zudem mit 32 Bürgermeistern im Lande viel stärker verankert als die FDP in Bayern. Die holte am Sonntag 2,6 Prozent, Sachsens FDP dagegen vor vier fahren nur ein Prozent. Doch das zählt für den Optimisten Zastrow nur bedingt. „Die 7,3 Prozent bei der Bundestagswahl 2003 haben gezeigt, aus welchem Potenzial wir schöpfen können."
(von Hubert Kemper)