Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung und SZ-Online, 17.10.2003

Gillo will seine rosa Krawatte abbinden

Wirtschaftsminister Gillo versucht per Regierungserklärung den Befreiungsschlag
 
DRESDEN. Die heftige Watsche, die Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) aus den eigenen Reihen bekam, ist bereits ein halbes Jahr alt und trotzdem schien sie gestern immer noch durch den Plenarsaal des Landtages zu hallen.

Im Mai hatten die CDU-Abgeordneten an gleicher Stelle die Hände in den Schoß gelegt, als die Opposition Gillo attackierte. Statt heiße Luft zu produzieren, solle der Minister endlich zur Sache kommen und sagen, wie er den stotternden Wirtschaftsmotor in Sachsen ankurbeln will, so die Forderung. Damit traf man offenbar auch die Stimmung der CDU-Mehrheitsfraktionäre, die sich bei der Abstimmung plötzlich enthielten und erstmals den Weg für einen PDS-Antrag freimachten. Der gedemütigte Minister musste deshalb gestern die erste Regierungserklärung seit dem Amtsantritt vor 17 Monaten halten. Titel: „Mehr Mut zur Freiheit.“

Dem Warnschuss folgt nun skeptisches Abwarten Dass dem 58-jährigen Gillo der Wind so stark ins Gesicht bläst, hat Gründe. Dem Ex-Manager und Politik-Neuling wird vor allem Hemdsärmeligkeit vorgehalten. Nicht kooperativ, in der Öffentlichkeit oft zu laut, agieren außerhalb aller Spielregeln, häufig nicht auf dem aktuellen Wissenstand – so lauten Vorwürfe, die nicht zuletzt immer wieder aus der CDU-Fraktion dringen. Dort stieg die Unzufriedenheit, weil Gillo zudem dem Mittelstand vermeintlich kaum Beachtung schenkt. Der Warnschuss fiel.

Gillo, der sich demnächst in Freiberg selber für ein Landtagsmandat bewerben will, versuchte am Rednerpult einen Befreiungsschlag. Optisch durch den Verzicht auf seine rosa Krawatte, die ihn kürzlich noch spöttische Vergleiche mit einer rosa Brille eingebracht hatte.

Inhaltlich mit zwei Neuerungen: Ein Mittelstandsfonds soll künftig dringend benötigtes Eigenkapital sichern. Außerdem werde das Land gezielt mit Bürgschaften aushelfen, um den Unternehmen notwendige Kredite zu sichern. Laut Gillo eine bundesweite Premiere. Eingebettet war die Ankündigung in eine Rede, mit der er dem Wirtschaftsstandort Sachsen Chancen attestierte und die rot-grüne Bundesregierung als Quelle vieler Probleme ausmachte.

Die Reaktion bei der CDU blieb verhalten. „Er wird zumindest besser“, so der Leipziger CDU-Abgeordnete Robert Clemen. Deutlicher sprach Fraktionskollege Thomas Pietzsch Probleme an. „Noch keinen Schritt vorwärts sind wir bei der Berufsförderung gekommen“, kritisierte er in Richtung Gillo. Dabei habe man seit Monaten Druck gemacht, um die Qualifikation von Schulabgängern besser auf die Bedürfnisse der Wirtschaft abzustimmen. Auch Finanzexperte Uwe Albrecht sieht beim Minister „Reserven im alltäglichen Mittelstandsgeschäft“. Und CDU-Wirtschaftssprecher Andreas Lämmel, der Gillo vor Tagen öffentlich mangelnde Impulse bescheinigt hatte, gab sich salomonisch. „Wenn es künftig so läuft wie in der Regierungserklärung angekündigt, bin ich zufrieden.“

Wirtschaft hofft auf stärkere Lobby

Zwischen Hoffnung und Unruhe schwanken aber auch andere. „Zur Arbeit des Wirtschaftsministeriums habe ich ein differenziertes Verhältnis – meine Firma kann sich nicht beklagen“, meint Burkhard Scholz, Geschäftsführer der Zittauer Techno-Coat Oberflächentechnik GmbH. „Andererseits haben alle in der Region das Gefühl, dass seit dem Führungswechsel die Lobby der Lausitz schwächer ist. Das Duo Biedenkopf und Ex-Minister Schommer war eine berechenbare Größe und kannte die speziellen Probleme der Lausitz. Unter Gillo und Milbradt gehen manche Projekte nicht mehr vorwärts, obwohl natürlich allen klar ist, dass das auch mit Geld zu tun hat.“ Keine Einzelstimme im Land.

Allein die Opposition sparte sich in Sachen Gillo gleich jeglichen Spagatversuch. Der Minister agiere weiter ohne Konzept, so die Kritik von Regina Schulz (PDS). Selbst der Mittelstandsfonds sei ein alter Hut. „Früher hieß er Sachsenfonds und bewirkt hat er bis heute nichts.“

„Rumeierei“, höhnte Karl Nolle, Wirtschaftssprecher der SPD-Fraktion. Wer könne einen Minister ernst nehmen, der Sachsens Wirtschaft in seiner Rede als lahme Ente bezeichnet, weil die Bundesregierung eine falsche Politik mache, und später sofort vom wilden Tiger spricht, nur um zu zeigen, wie toll die eigene CDU-Staatsregierung ist, so Nolles bitterböse Frage. Die Antwort wartete er erst gar nicht ab.
(Gunnar Saft und Annegret Schneider)