Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 12.11.2003

ZMD-Verkauf zwischen Aktienpaket und Tango-Club?

Disziplinarisches Vorermittlungsverfahren im Wirtschaftsministerium
 
Dresden. Wolfgang Vehse gab sich gelassen. Häufig lehnte sich der 58-Jährige Beamte im einstweiligen Ruhestand zurück, schlug lässig die Beine übereinander und beschimpfte den Ausschussvorsitzenden, wenn ihm der Ton des PDS-Abgeordneten André Hahn nicht passte. Doch nach fünf Stunden Zeugenvernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Sachsenring-Affäre wippte Vehse nur noch nervös mit dem Fuß. Da hatte er für eine neue Wendung im Ausschuss gesorgt.

Vehse, von 1997 bis August 2002 Staatssekretär unter Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU), bestätigte gestern bei seiner Zeugenvernehmung, dass ein Beamter des Wirtschaftsministeriums bei Investoren um Geld für den Tango-Club seiner Frau geworben habe und mindestens einmal 3000 Mark geflossen sind. Bei dem Beamten handelt es sich nach den Angaben im Ausschuss um Helmut Ennen, der früher als zuständiger Referatsleiter für Technologieförderung auch maßgeblich an den Verkaufsverhandlungen für das Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) 1998 an die Sachsenring AG (SAG) beteiligt war. Mit diesem Verkauf befasst sich der Ausschuss. Der Ex-Vorstandschef der insolventen SAG, Ulf Rittinghaus, wirft Schommer vor, er habe ihn bei einem Treffen am 9. Oktober 1998 zur Finanzierung einer CDU-Wahlkampagne gedrängt und im Gegenzug angeboten, den Zuschuss für das ZMD beim Verkauf an die SAG von 25 auf 29 Millionen Mark erhöhen zu lassen. Es gab die Kampagne und es gab 29 Millionen Mark, Schommer bestreitet jedoch vehement einen Zusammenhang.

Vehse stützte gestern die Darstellung seines früheren Chefs. Rittinghaus habe damals die Verhandlungen platzen lassen wollen, wenn er ein 4-Millionen-Mark-Darlehen zurückzahlen müsse und damit die 25 Millionen auf 21 schrumpften. Deshalb sei er, Vehse, auf die Idee gekommen, dem ZMD 29 Millionen mitzugeben. "Es gab dazu keine Weisung und keinen Einfluss von Minister Schommer", sagte Vehse, der für die Verhandlungen verantwortlich war. Das entscheidende Treffen am 15. Oktober 1998 habe er jedoch nicht wahrnehmen können. Damit habe er Ennen beauftragt und ihm die Vollmacht gegeben, notfalls auf 29 Millionen Mark zu erhöhen, wenn sonst die Verhandlungen scheitern sollten.

Auf Anfrage des SPD-Abgeordneten Karl Nolle erklärte Vehse gestern, der gleiche Ennen habe ihm vor einiger Zeit die Werbeaktion für den Tango-Club in Freiburg bestätigt. Nolle, der den Vorgang 1998 oder 1999 ansiedelt, sprach von Korruption und äußerte einen weiteren Verdacht, wonach Ennen sich von einem SAG-Vorstand beim Börsengang 1997 ein Aktienpaket über 5000 Mark schenken und später für 17.000 verkaufen lassen habe. Ennen ist gegenwärtig für den Freistaat in Brüssel tätig. Das Wirtschaftsministerium bestätigte gestern auf Anfrage DNN-Informationen, dass es ein "disziplinarisches Vorermittlungsverfahren" im Ministerium gebe. Es werde allen Vorwürfen entschieden nachgegangen, sagte Sprecherin Annette Binninger. Nähere Angaben machte sie nicht.

Ennen, der im Beirat bei SAG und im Aufsichtsrat des ZMD saß und die Strategie von Vehse seit 12. oder 13. Oktober kannte, sagte am 15. Oktober 1998 der SAG die 29 Millionen Mark zu. Einen Monat später gab es ein Essen auf Schloß Eckberg, u.a. mit Rittinghaus, Vehse, Schommer und dem damaligen Finanzminister Georg Milbradt. Während der SAG-Chef vier Wochen zuvor noch mit Abbruch gedroht haben soll und damit vier Millionen Mark erlangte, ließ er sich bei diesem Essen "ohne größere Probleme" (Vehse) vom Freistaat die Option für einen 30 Prozent Anteil des Staates am ZMD abringen. Im Kaufvertrag tauchte das jedoch nicht auf, so Vehse, weil "wir die EU-Kommission auf diesen Zusammenhang zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufmerksam machen wollten". Es liefen damals noch Beihilfeprüfungen.

Für Vehse war ZMD-Chef ein "hyperarroganter Schnösel"

Vielleicht lag das am guten Draht des Ministers zu Rittinghaus. Laut Vehse hat sich Schommer - auch gegen die Bedenke der Arbeitsebene - "sehr darum verdient gemacht", dass es für Sachsenring weitergehen konnte. Sein Verhältnis zu Rittinghaus sei eher von "kritischer Distanz" geprägt gewesen, sagte Vehse. Heute sehe er sich darin bestätigt. Wenn er schon damals gewusst hätte, dass Rittinghaus, "der immer auf Cash aus war", mit dem Projekt zur Mobilen Emissionsmessung (MEM) "betrügerisch" umgeht, hätte er das ZMD nicht an die SAG verkauft. Auch die damaligen ZMD-Geschäftsführer, Wolfgang Nolde und Detlef Golla, hätte ihn mit MEM "übers Ohr gehauen" damals. Vehses Verhältnis zum ZMD-Management wurde später nicht besser. Thilo von Selchow, der derzeit die Geschäfte in dem Halbleiter-Unternehmen unbestritten erfolgreich führt, sei für ihn ein "hyperarroganter Schnösel" gewesen.
(Ingolf Pleil)