Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 22.12.2003

Fliegende Urnen für den SPD-Spitzenkandidaten

Die Urwahl und deren Verfahren stoßen an der Basis auf immer mehr Ablehnung
 
Zuerst wurde nur jubiliert. Mit einer Urwahl des SPD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2004 sei „erstmals die breite Mitbestimmung aller unserer Parteimitglieder“ gewährleistet, beglückwünschte sich Landeschefin Constanze Krehl zu ihrem Vorschlag. Auch Spitzenkandidaten-Kandidat und SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Jurk sah die „SPD auf dem richtigen Weg“. Der SPD-Abgeordnete Karl Nolle sprach sogar von einer „Sternstunde für die innerparteiliche Demokratie“ und „Balsam für die gebeutelte SPD“. Jetzt zeigt sich aber immer deutlicher: Die Basis will sich überhaupt nicht einbalsamieren lassen.

Nachdem es bereits seit einiger Zeit Murren an der Basis gibt, nehmen nun auch offene Proteste zu. Mit einem „unehrlichen“ Machtkampf riskierten Krehl und Jurk, „dass sich die sächsische SPD lächerlich macht“, heißt es beispielsweise in einem Brief des SPD-Ortsvereins Hohenstein-Ernstthal (Chemnitzer Land). Ähnlich denken die Sozialdemokraten des Ortsvereins Waldgebiet (Vogtlandkreis). Mit dem Beschluss einer Urwahl sei der schwache Landesvorstand nur den „Weg des geringsten Widerstandes“ gegangen, heißt es in einem Brief an den Landesvorstand. Außer Aufwand und Kosten werde die Urwahl für die SPD nichts bringen, heißt es weiter. Beide Bewerber seien „bei aller Wertschätzung keine riesigen Zugpferde, die in Sachsen den Bock umstoßen“. Kurzum, so die Genossen: Krehl und Jurk seien beim Rennen um die Regierung ohnehin „chancenlos“.

DDR-Methoden sollen Mitglieder mobilisieren

Als Einzelstimmen von der nörgelnden Basis vom Dorf kann die Parteispitze den Gegenwind aber nicht abtun. Längst regt sich auch aus den zehn Unterbezirken (UB) der Partei Kritik an der Urwahl. „Unglücklich“, heißt es im UB Lausitz, „verunsichernd“ im UB Leipzig-Borna, „überflüssig“ im UB Pirna, „mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet“ im UB Vogtland. „Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der Basis gegen die Urwahl ist“, fasst ein Mitglied des Landesvorstandes die Stimmung zusammen.

Für Aufregung – erst im Landesvorstand, jetzt an der Basis – sorgt auch der geplante Einsatz „mobiler Wahllokale“. Ein nicht unbekanntes Prinzip: Bereits in der DDR wurde mit „fliegenden Urnen“ die Wahlbeteiligung hochgetrieben, indem Wähler zu Hause aufgesucht wurden. Er habe schon ein schlechtes Gefühl gehabt, als er das erste Mal von dieser Art des Stimmensammelns gehört habe, sagt beispielsweise Lutz Kätzel, Chef des UB Vogtland. Als „merkwürdig“ und „nicht mit meinem Verständnis von Demokratie vereinbar“ bezeichnet der Pirnaer UB-Chef Rainer Maus diese Methode des Stimmensammelns.

Die Landespartei sieht offiziell kein Problem: Der Einsatz mobiler Urnen sei für den Besuch alter und gebrechlicher Genossen gedacht, sagte Pressesprecherin Mirjam Richter. Nach SZ-Informationen planen allerdings einige Ortsvereine, die Wahl komplett per „mobiler Wahllokale“ abzuwickeln – laut Parteistatut ist das möglich. „Missbrauchsmöglichkeiten sehe ich darin nicht“, sagt ein SPD-Vorstandsmitglied hinter vorgehaltener Hand. „Ich möchte es aber mal so sagen: Die Chance, unsere Mitglieder zu mobilisieren, steigt.“
(Von Andreas Novak)