Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 21.02.2004

Kassensturz: Nach Kaminskis Abgang beginnt für Leipzig neue Zeitrechnung

Kommentar von Hubert Kemper
 
Rücktritte klären Verantwortlichkeiten, sie haben auch symbolische Wirkung. So gleichen sie Urteilen mit ihrem Effekt der Abschreckungskraft. Überfällig war die Trennung, die Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee von seinem Kämmerer Peter Kaminski vollzogen hat Der Rathauschef zauderte so lange, bis die Affaire auf ihn und damit auf die gesamte Stadt überschwappte.

Tiefensees späte Reaktion verdient nicht einmal den Begriff Schadensbegrenzung. Sein unprofessionelles Abwarten heizte die Küche an, für die Leipzig mit fraktionsübergreifenden Seilschaften jede Menge Zutaten liefert Das "Modell Leipzig", das die Interessen der Stadt vor die der Parteien gestellt hat, mag viele Prozesse in den Nachwende-Jahren beschleunigt haben. Mit dem Fehlen echter Kontrolle hat es nunmehr gravierende Schwächen bewiesen.

Seinen Stellvertreter setzte der Oberbürgermeister nicht aus eigenem Antrieb vor die Tür. Der Druck kam aus jener Partei, der Kaminski angehört. Sensibler als SPD-Mann Tiefensee registrierte die CDU-Führung die Signale aus Leipzig. Während sie mit der Suspendierung ihres Kreisgeschäftsführers und der Einsetzung von Thomas Giesen mediengerecht Zeichen setzte, stellte sich Tiefensee taub und trotzig. Als wollte er verdrängen, dass ihn die Konkurrenz mit ihrer listigen Offensive in eine Falle gelockt hatte, ignorierte das Stadtoberhaupt die belastenden Ergebnisse seiner eigenen Rechnungsprüfung und - viel schlimmer - seine frischen Erinnerungen an Aufklärungspannen bei der Olympia-Bewerbung.

Die rasante Entzauberung Tiefensees kann in der CDU keine Häme hervorrufen. Der Verfall seines Ansehens trifft Sachsens größte Stadt und die gesamte Politik. Leipzig profitierte von Charme, Tatkraft und Selbstdarstellungstalent des politischen Quereinsteigers. Sein Beispiel hätte anderen Mut geben können, der Szene die überfällige Belebung zu bescheren. Nun dürfte es das Gegenteil bewirken.

Die CDU wird den Skandal mit einer Geldstrafe überstehen. Ihr Krisenmanagement hat funktioniert. Nebenbei stutzte sie den einstigen Milbradt-Widersacher auf Normalmaß. Schaden haben aber alle Beteiligte genommen. Vor allem Leipzig, das nun unter einem neuen Kämmerer vor einem ernüchternden Kassensturz steht. Vielleicht erklärt die drohende Konsequenz einen Teil des Tiefenssee-Zögerns vor einem Personalwechsel. Von Olympia wagt in diesen Tagen niemand zu sprechen. Wer mag der Stadt und ihrem angeschlagenen Repräsentanten diesen Kraftakt noch zutrauen?