Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, Seite 5, 10.04.2004

Mobbing und die Ahnung: „Wir Polizisten haben oben keine Lobby!"

Sinnlose Bestellungen setzen Görlitzer Polizisten unter Druck - Leitender Beamter der Körperverletzung im Amt verdächtigt - Doch seit einem Jahr passiert nichts
 
Görlitz. Sachsens Polizei kommt nicht zur Ruhe: Wieder schwappt ein Skandal an die Öffentlichkeit, wieder in Ostsachsen. Statt um Korruption, Untreue und Unfähigkeit wie in der Landespolizeischule Bautzen und im Dresdner Innenministerium geht es diesmal um Mobbing der übleren Art und um eine mögliche Verschleppung der Ermittlungen. Seit einem Jahr liegt eine Strafanzeige eines Görlitzer Polizisten wegen Körperverletzung im Amt bei der Staatsanwaltschaft. Verdächtigt wird ein Vorgesetzter.

Erst waren es Taxis, die im anderthalb Stunden Takt nachts an der Haustür des Polizeibeamten klingelten. Gerufen hatte er sie nicht. Mal sollten es Dutzende Tickets für Konzerte im Dresdner Schlachthof und Kulturpalast sein, mal eine Reise nach London oder eine Kreuzfahrt. Dann wieder ein Baucontainer und einen Haufen Briketts. Nichts von all dem hatte der Polizist selbst bestellt. Auch eine Ausbildung zum Altenpfleger in Hamburg wollte er nicht absolvieren, obwohl man ihm Unterlagen schickte.

Gut ein Jahr, seit Ostern 2002, ging das so - bis der Täter einen Fehler machte: Er orderte im des Namen des Beamten bei einem Versandhaus Hosen, Taschenlampen, Schirme im Wert von 30.000 Euro. Diesmal sollte die Bestellung direkt an die Adresse der Polizeidirektion Görlitz gehen. Das muss selbst dem Versandhaus komisch vorgekommen sein. Eine Rückfrage und die später eingeleitete Überprüfung der Telefonanlage ergab: Anrufer und Besteller waren nicht identisch. Der Anrufer saß in der Führungsetage der Polizeidirektion.

Zwar hätte sich der Täter mit einem Nachschlüssel Zugang zu den Dienstzimmern verschaffen können. Doch diese Theorie ist dem Geschädigten zu abwegig. „Es konnte nur einer gewesen sein, der dort arbeitet und eine richtige Wut auf mich hat. Und da gibt es nur einen", sagt er. Arroganz und Herrschsucht hatte er einem leitenden Beamten in der Direktion vorgeworfen, Reibereien gab es oft. Gegrüßt hatten sie sich auf den Fluren schon lange nicht mehr. „Entweder Sie grüßen mich oder Sie werden in die Polizeidirektion Bautzen versetzt!" Selbst dieser Satz soll gefallen sein.

Seit einem Treffen beim Leiter der Polizeidirektion hörten die unsinnigen Bestellungen auf, mehr passierte nicht. Für den Geschädigten zu wenig: „Da kann das Fell noch so dick sein, so etwas geht an keinem spurlos vorbei." Bluthochdruck, Herz-Rhythmus-Störungen sind die Folgen, einen finanziellen Schaden erlitt er nicht, weil es ihm immer gelang, die Bestellungen zu stornieren. 6o Mobbingfälle will er belegen können. Im Januar 2003 stellte er deshalb Strafanzeige gegen Unbekannt. Als Tatverdächtigen gab er den Vorgesetzten an.

Staatsanwalt Till Neumann bestätigt die Ermittlungen „gegen einen leitenden Polizeibeamten. Es liegt eine Privatanzeige wegen Körperverletzung vor. Die Ermittlungen dauern an", erklärt er. Dem Geschädigten soll Neumann signalisiert haben, dass eine Einstellung des Verfahrens drohe. Die Beweislage sei zu dünn. „Das ist schon sehr suspekt", wundert sich der Polizist, der viele Kollegen hinter sich weiß. Er vermutet einen Zusammenhang mit der anstehenden Polizeistrukturreform, wonach bis 2005 die Direktionen Görlitz und Bautzen zusammengelegt werden sollen. Weitere Affären zu einem Zeitpunkt, wo es um die Verteilung von Posten in der Polizei geht, kann offenbar niemand gebrauchen.

In seiner Verzweiflung ging er zum SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle: Bitte helfen Sie uns, wir kleinen Polizisten haben oben keine Lobby!" Und Nolle fragt: „Wie soll ein solcher Art durch Vorgesetzte gemobbter und strafrelevant geschädigter Beamter seinen Dienst tun und unsere Sicherheit garantieren?"

Beide Seiten, auf die die Angriffe zielen, schweigen derzeit. Der Verdächtige in der Görlitzer Polizeidirektion sagt: „Kein Kommentar." Und das Innenministerium verweist auf die Ermittlungen. „Alles liegt in den Händen der Justiz", sagt Sprecher Andreas Schumann. (Namen der Redaktion bekannt)
(von Christina Hofmann)