Karl Nolle, MdL
SPIEGEL, 10.05.2004
Subventionen: Haft und Pleiten
Ehemalige Gewerkschafter und dubiose Unternehmer sollen in Sachsen Brüsseler Fördermillionen beiseite geschafft haben.
Florian Gerster strahlte vor Glück. Diese Zusammenarbeit zwischen Behörde und Betrieb, wie sie dem damaligen Chef der Bundesanstalt für Arbeit im September 2003 in Dresden präsentiert wurde, sei einfach „der Königsweg der Arbeitsmarktpolitik". Was Gerster in Hochstimmung versetzte, war die Arbeit des Bildungsunternehmens „Qualifizierung für Mikroelektronik und Fahrzeugtechnik" (QMF). Er wäre froh, jubelte der Spitzenbeamte, wenn es so etwas überall in den neuen Ländern gäbe.
Der Gerstersche Wunsch blieb gottlob unerfüllt. Denn die QMF droht inzwischen zum Debakel für die sächsische Landesregierung zu werden: Eine Clique von ExGewerkschaftern, Unternehmern und Helfern in der Regierung soll die Firma genutzt haben, um mit Billigung aus Dresden EUFördergelder beiseite zu schaffen. Vergangene Woche durchsuchten Staatsanwälte und Polizisten das Dresdner Wirtschaftsministerium, nahmen einen ehemaligen Abteilungsleiter fest, verhafteten den einstigen QMF-Geschäftsführer und stellten die Wohnung eines Ex-Staatssekretärs auf den Kopf.
Die Beteiligten stehen im Verdacht der Untreue und des Subventionsbetrugs. Schaden: 21 Millionen Eure. Das Geld, vermuten die Ermittler, sei keineswegs ausschließlich, wie offiziell angegeben, für die Qualifizierung von Mitarbeitern der Chip-Branche verwendet worden, sondern zumindest teilweise in dubiosen Firmen versickert.
Der Fall begann Ende der neunziger Jahre. Damals saß die Dresdner Regierung auf dem angeschlagenen Zentrum für Mikroelektronik Dresden (ZMD), für das sie händeringend einen privaten Investor suchte. Nur mit Millionenbeihilfen war das Werk zu verkaufen.
Interessiert waren die Sauerländer Unternehmerbrüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus. Diese wollten das Werk 1998 zwar für zwei Mark kaufen, verlangten aber vom Freistaat 29 Millionen Mark an Subventionen. Zudem sollten von den 420 Mitarbeitern 140 von einer öffentlich finanzierten Beschäftigungsgesellschaft bezahlt werden - ein förderrechtlich heikler Deal, warnten die Anwälte des Wirtschaftsministeriums, in dieser Form wohl nach EU-Recht illegal.
Doch da tat sich ein Ausweg auf. Im September 1998 hatte ein Hamburger Anwalt eine Firma gegründet, deren Sitz wenige Wochen später nach Dresden verlagert und deren Name in QMF umgewandelt wurde - ein Weiterbildungsunternehmen. Jobs waren nach EU-Recht zwar so nicht förderfähig, Bildung aber sehr wohl. QMF-Geschäftsführer wurde später der inzwischen in Dresden in U-Haft sitzende Helmut Stachel, einst Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau, der für die Gebrüder Rittinghaus bei den Verhandlungen im Wirtschaftsministerium mit am Tisch saß, als es um den ZMDVerkauf ging.
Die ministerialen Bedenken gegen den Deal lösten sich plötzlich in Luft auf, der Kaufvertrag kam zu Stande, und das Land Sachsen sorgte dafür, dass QMF auf Millionenförderung aus dem Europäischen Sozialfonds hoffen durfte. Bald flossen die ersten 13 Millionen Mark, doch ob tatsächlich irgendjemand fortgebildet wurde, zweifeln die Ermittler heute an. Die Brüsseler Weiterbildungsgelder seien zumindest teilweise - rechtswidrig - für Löhne der RittinghausBeschäftigten verwendet worden.
Die Fahnder vermuten, dass QMF mit den Millionen nicht nur die Computerfirma finanzierte, sondern auch noch ein Netz von angeblichen Weiterbildungsfirmen, das von ehemaligen IG-Metall-Funktionären aufgebaut wurde. Der Verdacht sei Verdacht der Untreue „völlig abwegig", lässt Stachel via Anwalt ausrichten.
Nach Erkenntnissen der Ermittler wurden Lehrgänge wie „Internet in der betrieblichen Praxis" mit überaus stolzen 150.000 Mark für knapp zwei Wochen abgerechnet - die angebliche Leistung erbrachte natürlich eines der an QMF hängenden Kungelunternehmen. Die Truppe aus alten Gewerkschaftsfunktionären fühlte sich so sicher, dass manche Schulungstage in den Abrechnungen weit länger als 24 Stunden dauerten.
Dennoch bewilligte der zuständige Abteilungsleiter im Dresdner Wirtschaftsministerium, heute in U-Haft, noch am 21.Juni 2001 der QMF weitere 38 Millionen Mark - trotz diverser Bedenken seiner Fachabteilung und eines klaren Vetos des Haushaltsreferats. Ein Controlling-Untemehmen hatte wenige Tage zuvor die Beamten auf Ungereimtheiten bei QMF hingewiesen.
Nun ist das Geld verschwunden und über allem schwebt der Pleitegeier: Die QMF ist insolvent, der einstige ZMD-Investor ebenfalls. Und der CDURegierung im Freistaat drohen mitten im Wahlkampf Millionenrückforderungen aus Brüssel.
Besonders unangenehm: Die QMF-Affäre könnte auch einen Untersuchungsausschuss des Landtags interessieren. Die Parlamentarier versuchen zu klären, warum die Rittinghaus-Brüder der CDU beim letzten Landtagswahlkampf 1999 mit einer millionenteuren ImageKampagne Kampagne beigesprungen waren.
(Anreas Wassermann, Steffen Winter)