Karl Nolle, MdL

DNN(LVZ, 27.05.2004

Affäre um EU-Fördergelder zieht weitere Kreise

 
Dresden. Die Millionen-Affäre um zu Unrecht gezahlte Fördermittel des Europäischen Sozialfonds weitet sich offenbar aus. Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU), dessen Haus in den Skandal um die Qualifizierungsgesellschaft QMF verwickelt ist, kündigte gestern indirekt weitere Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft an.

Nach Überprüfung von etwa 80 Förderfällen durch die Innenrevision müssten voraussichtlich weitere Vorgänge an die Staatsanwaltschaft abgegeben werden. "Die bisherige Prüfung hat sowohl revisionsbedürftige als auch völlig korrekte Fälle gezeigt", sagte Gillo im Landtag. In den nächsten Wochen gebe es mehr Klarheit.

Derzeit ermittelt die Anti-Korruptionseinheit Ines wegen der Vergabe von fast 21,5 Millionen Euro an die Dresdner Qualifizierungsgesellschaft QMF. 16 Beschuldigte stehen im Verdacht des Betrugs und der Untreue. Kurios: Es wurden sogar Schulungen von mehr als 24 Stunden am Tag abgerechnet.

Ende der 90er Jahre wurde das Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) - Keimzelle der boomenden Dresdner Chipindustrie - an Sachsenring (SAG) verkauft. Um die Entlassung Hunderter Mitarbeiter zu verhindern, fing man sie in der Qualifizierungsgesellschaft QMF auf. Zentraler Verdacht sei aber, so Gillo, dass die Mitarbeiter weiter bei ZMD und SAG beschäftigt waren - getarnt als Praktikanten -, um die Personalkosten der Firmen aus Steuermitteln zu bezahlen: eine illegale Subvention.

Der Minister versuchte, den Schwarzen Peter der QMF in die Schuhe zu schieben. Sie wurde von dem einstigen IG-Metaller und inzwischen inhaftierten Manager Helmut Stachel geleitet. Das Wirtschaftsministerium hatte jedoch die Gelder bewilligt. Ermittler der Staatsanwaltschaft hatten daher Anfang Mai das Ministerium durchsucht. Der damals zuständige Abteilungsleiter Hans Neufischer sitzt seither in Haft. Auch gegen Ex-Staatssekretär Wolfgang Vehse wird ermittelt.

Angesichts der Ereignisse machte die Opposition auch die Regierung für die Affäre verantwortlich. "Der 21-Millionen-Deal reiht sich nahtlos ein in eine lange Reihe der nach oben offenen sächsischen Skandalskala", sagte der SPD-Abgeordnete Karl Nolle. Durch die Argumentation Gillos fühle er sich an die delikate Lewinski-Affäre von Ex-US-Präsident Bill Clinton erinnert: "Sie hatte mit ihm, er aber nicht mit ihr."

PDS-Fraktionschef Peter Porsch vermutete einen "Eisberg, der von der Kälte der Arroganz der Macht zusammengehalten wird". Porsch sprach von einem kriminellen und organisierten Missbrauch von EU-Millionen und warf dabei auch Regierungschef Georg Milbradt (CDU) schwere Versäumnisse vor. Er drohte mit der Einrichtung eines neuen Untersuchungsausschusses.

Als Konsequenz aus den mutmaßlichen Betrugsfällen kündigte Gillo zugleich eine Änderung der bisherigen Förderpraxis mit EU-Geldern an. "Wir werden eine Reihe von Umschichtungen für mehr Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze vornehmen." Zudem solle es vertiefte Verwendungsnachweise und Vor-Ort-Kontrollen bei Weiterbildungsträgern geben. Eine Bewertung über den Nutzen der EU-Mittel habe gezeigt, so Gillo, "dass nicht alle Gelder einen akzeptablen Wirkungsgrad hatten."
(Sven Heitkamp)