Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 22.06.2004
Die SPD greift sich im Wahlkampf selber an
Ungelöster Personalstreit der Parteispitze bedroht auch den Abgeordneten Karl Nolle
Die Unfähigkeit, schwelende Personalprobleme im Vorwärtsgang zu lösen, hat die sächsische SPD erneut in eine missliche Lage getrieben. Am Sonntag soll eine Delegiertenkonferenz in Döbeln eigentlich nur über jene 20 Listenkandidaten entscheiden, mit denen die Partei die Landtagswahl im Herbst halbwegs aussichtsreich bestehen könnte. Doch der wieder aufgeflammte Machtkampf zwischen SPD-Fraktionschef Thomas Jurk und Parteichefin Constanze Krehl macht die Abstimmung einmal mehr zur Richtungswahl.
Der Grund: Sowohl Jurk als auch Krehl wollen möglichst viele Getreue auf der 20er-Liste platzieren, um später die Nase vorn zu haben, wenn die neue SPD-Landtagsfraktion im Herbst über den Fraktionsvorsitz und damit über den Machtkampf der beiden entscheiden wird.
Prominentestes Opfer des „Personal-Bingos“ (Parteispott) ist der landesweit bekannte SPD-Abgeordnete Karl Nolle. Dem Jurk-Lager zugeordnet, setzte SPD-Chefin Krehl durch, dass mit dem Dresdner Unterbezirkschef Albrecht Leonhardt Nolle als einzigem Bewerber ein extra Gegenkandidat vorgesetzt wird. Der Kreisvorstand soll heute Abend abstimmen, wer von beiden auf die Liste darf. Nolle, der in guten Tagen von der Presse auch schon mal als Sachsens Ein-Mann-Opposition gefeiert wird, gibt sich angesichts des Gerangels auffällig zurückhaltend. „Ich akzeptiere das ungewöhnliche Verfahren“, grollt er nur leise und setzt offenbar darauf, dass er am Ende dennoch erfolgreich bleibt.
Als „kein Zeichen für Professionalität“ rügt dann auch Sachsens Juso-Chef Martin Dulig die Attacke auf einen der bekanntesten Sozialdemokraten im Land. Doch Dulig muss sich selbst warm anziehen. Auch er wurde mit dem aussichtslosen Listenvorschlag 31 abgestraft, obwohl sich der Parteinachwuchs zuvor mit einem offenen Brief für ihn stark gemacht hatte. Ein Skandal sei es, so Juso-Vize Holger Mann, dass nun aber überhaupt kein junger SPD-Genosse mehr auf einem der chancenreichen Listenplätze auftauchen soll. „Jurk und Krehl müssen das korrigieren.“
Doch danach sieht es nicht aus, im Gegenteil. Mehrere Leistungsträger der Partei sollen laut Krehl-Jurk-Vorschlag bislang unbekannten SPD-Funktionären weichen. Die Angst vor einem ähnlichen Schicksal lässt nun viele ihrer hinter den Kulissen schimpfenden Genossen öffentlich eisern schweigen. Selbst der auf Platz 5 gesetzte Cornelius Weiss, Ex-Uni-Rektor in Leipzig und Nolles Fraktionskollege, gibt unumwunden zu, „sich aus diesen Sachen lieber herauszuhalten“. Deutlicher kann man vor innerparteilichen Krisen nicht kapitulieren. Zu den selbstbewussten Ausnahmen gehört allein die SPD-Abgeordnete Simone Raatz, die dennoch für Nolle votiert. „Er hat seinen eigenen Stil und er hat viele Fürsprecher“, bricht sie eine Lanze für den Verfemten.
Doch damit findet sie nicht überall Gehör. Besonders der SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber, der als Strippenzieher zu Gunsten Krehls gilt und dessen Leipziger Genossen auf der Landtagsliste bestens platziert sind, meldet Widerspruch an. Vernünftige Mehrheiten seien mit so einem Kandidaten unmöglich. „Bekanntheit hat nichts mit Wählbarkeit zu tun“, kritisiert er Nolles Vorliebe für schlagzeilenträchtige Aktionen. Die SPD hat den Wahlkampf längst begonnen – wie so oft zuerst in den eigenen Reihen.
(Von Gunnar Saft)