Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 29.06.2004
SPD-Chefin Krehl geht im Zorn - Jurk führt die Partei
Dresden. Manchmal entscheiden die kleinen Dinge über die große Richtung. Erst fiel SPD-Chefin Constanze Krehl wegen eines amateurhaften Weihnachtsvideos bei vielen Genossen durch. Dann wurde ihr übel genommen, dass sie eine schwerbehinderte Sekretärin angeblich wegen Hinterziehung von 4,50 Euro Spesen rauswarf. Und nicht zuletzt empörten sich besonders Westdeutsche in der SPD, dass Krehl Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) als Nicht-Sachsen abtat. Alles kleine Nadelstiche, die zum Bruch mit der Partei führten. Gestern Mittag legte Krehl mit sofortiger Wirkung den Vorsitz nieder und verzichtete auf eine weitere Kandidatur für die Landtagswahl im September.
Zwischen ihr und Fraktionschef Thomas Jurk war ein heftiger Machtkampf ausgebrochen, als Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee Ende 2003 wegen der Olympia-Bewerbung nicht als Spitzenkandidat bereit stehen wollte. Bei der vehementen Durchsetzung eigener Machtansprüche und wegen ihres von manchen als "stalinistisch" beschriebenen Führungsstils geriet Krehl jedoch zunehmend in die Kritik. Am Wochenende nun watschte die Basis die 47-Jährige ab. Nur 54 Prozent der 59 Delegierten wählten sie in Döbeln auf Platz zwei und ließen zudem mehrere ihrer Kandidaten auf der Landesliste durchfallen. Jurk bekam indes als Spitzenkandidat rund 90 Prozent und setzte seine Gefolgsleute wie Juso-Chef Martin Dulig, den Leipziger Uni-Rektor Cornelius Weiss und den Zankapfel Karl Nolle durch. Ein Misstrauensvotum gegen Krehl.
In einer zornigen Erklärung schrieb die scheidende Chefin, die Landesdelegiertenkonferenz habe mit dieser Abstimmung "eine klare Richtungsentscheidung gegen Sachpolitik getroffen" - was als Beleidigung der Delegierten aufgefasst wurde. Zudem, so Krehl, hoffe sie nun auf den Gewinn von Direktmandaten im Leipziger Raum - auf andere setze sie nicht.
Hinter dem Streit steht auch eine Richtungsentscheidung: Krehl hatte sich bisher eher auf einen Kooperationskurs mit der CDU eingestellt, Jurk vertritt dagegen einen offensiven Oppositionsstil samt gelegentlichem Flirt mit der PDS. Jurk geht nun gestärkt aus dem Personaldebakel hervor: Er soll den Landesvorsitz kommissarisch bis nach der Wahl übernehmen. Rolf Schwanitz, Staatsminister im Kanzleramt, habe ihn darum gebeten, sagte Jurk. Ein neuer Vorsitzender wird erst auf dem Parteitag im Herbst gewählt.
Gestern Abend erklärte der 42-Jährige, ein Klärungsprozess sei zu Ende gegangen. Er habe die SPD in einer schwierigen Phase übernommen. Die Partei brauche jetzt einen Neubeginn. Miteinander gesprochen haben Krehl und Jurk indes gestern nicht. Als Wahlziel peilt der Fraktionschef eine deutliche Verbesserung des Ergebnisses von 1999. Damals hatte die rund 4700 Mitglieder zählende Partei gerade mal 10,7 Prozent und damit 14 Mandate errungen. Auch bei den Europa- und Kommunalwahlen lag sie nur bei rund elf Prozent. Manche Genossen schließen gar den Absturz in den einstelligen Bereich nicht aus. Für die Listenkandidaten bedeutet Krehls Rückzug indes einen Schub um eine Position nach vorn.
Krehl hatte bisher eine erfolgreiche Parteikarriere absolviert: Die gelernte Informatikerin war Mitbegründerin der Ost-SPD und Abgeordnete der letzten DDR-Volkskammer. Seit 1994 ist sie SPD-Abgeordnete im Europaparlament und hat ihr Mandat vor zwei Wochen verteidigt. Im September 1999 übernahm sie den Landesvorsitz von Karl-Heinz Kunckel. Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee sagte unserer Zeitung, Krehl habe "sehr engagiert versucht, die Situation der SPD zu verbessern - wenn auch nicht immer fehlerfrei". Es sei jetzt aber nicht die Zeit, Steine hinterher zu werfen. Oberste Priorität habe die Landtagswahl, wo die SPD eine wichtige Kraft in Sachsen werden müsse.
(Sven Heitkamp)