Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland - ND, 29.06.2004

Abschied von der Volkskammer-Fraktion

Machtkampf in Sachsens SPD entschieden/Landesvorsitzende Constanze Krehl schmeißt hin
 
Drei Monate vor der Landtagswahl ist Sachsens SPD führungslos. Ihre Vorsitzende Constanze Krehl trat zurück. Und auch ihre bisherigen Hintermänner haben im Machtkampf verloren.

Selten haben sich die Granden der Sachsen-SPD so verschätzt, wenn es galt, Stimmungen im Parteivolk einzuschätzen. Mit Karl Nolle in vorderer Position werde die Partei bei der Landtagswahl »näher bei fünf als bei 17 Prozent« landen, wetterte Gunter Weißgerber, Leipziger Bundestagsabgeordneter, am Sonntag im Volkshaus Döbeln. Auch Gerald Thalheim zog vom Leder. Nolle, oft als »Einmann-Opposition« gelobt, habe der Partei »eindeutig geschadet«, schimpfte der Staatssekretär im Agrarministerium. Gewählt wurde Nolle trotzdem.

Die »Dreierbande« zieht im Hintergrund die Strippen

Die Kür des »Chefaufklärers« war der letzte Paukenschlag in einer Saalschlacht, die für Landesvorsitzende Constanze Krehl zum Waterloo wurde. Die 47-jährige Europaabgeordnete wurde zunächst nur haarscharf auf der Landesliste bestätigt; dann flogen ihre Günstlinge im Halbstundentakt aus dem Rennen. Krehl, die am Wahlabend 1999 nach der 10,7-Prozent-Schmach ins Amt kam, war politisch erledigt. Gestern gab sie ihren Listenplatz und den Landesvorsitz auf.

Die Meuterei der Delegierten, die Krehls Rivalen Thomas Jurk klar den Rücken stärkten und Vertraute des Fraktionschefs auf chancenreiche Plätze hievten, galt indes weniger einer Person als vielmehr einem Politikstil und den Männern, die dafür im Hintergrund die Strippen ziehen: Weißgerber, Thalheim und Rolf Schwanitz, der frühere Ostbeauftragte der Bundesregierung.

Die »Dreierbande« gehört nicht nur wegen der Berliner Posten zu den politischen Schwergewichten in dem ganze 4700 Mitglieder starken Landesverband. Alle drei spielten bereits 1989 eine maßgebliche Rolle bei der Neugründung der sächsischen Sozialdemokratie. Wie Krehl und ihr Vorgänger, der frühere Partei- und Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel, saßen sie im letzten DDR-Parlament, weshalb die Gruppe heute parteiintern die »Volkskammer-Fraktion« genannt wird.

Mit ihrer aus jener Zeit herrührenden Grundhaltung haben Schwanitz und Co. die Partei geprägt. Unbeirrt von desaströsen Wahlergebnissen, hielten sie am »Kuschelkurs« mit den Regierenden fest. Auch gegenüber der Bundespartei herrscht Nibelungentreue, gegenüber der PDS dagegen strikte Abgrenzung.

Signale dafür, dass maßgebliche Teile der Partei einen anderen Kurs wünschen, gab es längst; wahrgenommen wurden sie kaum. Nicht nur Krehl und Jurk redeten kaum miteinander. »Die Führung hat die Basis nicht mehr verstanden«, sagt Juso-Chef Martin Dulig. Wie stark sich die Koordinaten verschoben haben, hat der heimliche Führungszirkel erst jetzt unfreiwillig einräumen müssen. So klagte Thalheim über Nolle, der CDU-Filz und die unsoziale Politik der Bundes-SPD geißelt, dieser verkörpere »nicht das, wofür wir 1989 angetreten sind«.

Kontaktaufnahme im vorpolitischen Raum

Kritiker der »Volkskammer-Fraktion« sehen die Partei ohnehin vor Herausforderungen, die neue Antworten verlangen. So bemängelt Dulig, die SPD suche kaum Kontakt zu Initiativen im »vorpolitischen Raum«. Hanjo Lucassen, DGB-Landeschef und Noch-Landtagsabgeordneter, kritisiert »fehlenden Mut« der sächsischen Genossen mit Posten in Berlin, Kritik an der Bundesregierung weiterzuleiten.

Abgeschlossen ist die »Selbstreinigung« der SPD aber noch nicht. So moniert Lucassen die auch von Jurk mitgetragene einseitige Orientierung auf das Thema Bildung. Arbeit und soziale Gerechtigkeit seien hingegen »sträflich vernachlässigt« worden. Wenn das so bleibe, sagt der Gewerkschafter, »geht die Partei schweren Zeiten entgegen«.
(Von Hendrik Lasch, Dresden)