Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 22.07.2004

CDU-Politikerin im Visier der Staatsanwälte

Betrugsverdacht: Ermittlungen gegen Kerstin Nicolaus / Partei bangt um Wahlkreis
 
Da ist nichts dran.“ Bis zuletzt dementierte die langjährige CDU-Landtagsabgeordnete Kerstin Nicolaus, nachdem die Sächsische Zeitung im Mai erstmals einen internen Prüfbericht des sächsischen Rechnungshofs öffentlich gemacht hatte. Demnach hat Nicolaus als ehrenamtliche Bürgermeisterin von Hartmannsdorf (Zwickauer Land) gezielt Fluthilfegelder zum persönlichen Vorteil zweckentfremdet.

Verschätzt: Ersatzmann kam nicht zum Einsatz

Unter anderem war ein privater Feldweg am Hartmannsdorfer Haus der Politikerin ein dreiviertel Jahr nach dem Hochwasser am 21. Mai 2003 per Notarvertrag in eine kommunale Straße umgewandelt worden. Das sorgte für einen Anspruch auf öffentliche Hilfsgelder, die ansonsten nicht geflossen wären. Der Feldweg, der laut Zeugen von der Flut nicht beschädigt worden war, wurde für fast 70 000 Euro aus dem Fluthilfetopf zu einer drei Meter breiten Betonstraße samt Kanalisation ausgebaut – Wertsteigerung der angrenzenden Grundstücke inklusive. Die Staatsanwaltschaft Zwickau ermittelt wegen Betrugs und Untreue. Beim Landtagspräsidenten wurde die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten beantragt.

In der CDU, für die Nicolaus zur Landtagswahl erneut als Direktkandidatin antreten will, sorgt die Nachricht für Entsetzen. Nicolaus hatte zuvor in internen Runden mehrfach erklärt, dass sie die Vorwürfe widerlegen könne, zuletzt bei einem Krisengespräch mit Ministerpräsident Georg Milbradt. Die Partei hatte daraufhin auf die Aufstellung eines Ersatzkandidaten, eines jungen CDU-Politikers aus der Region, zur Landtagswahl im September verzichtet und auch die entsprechende Antragsfrist am 15. Juli ergebnislos verstreichen lassen.

Offiziell hält sich Generalsekretär Hermann Winkler, der zurzeit den CDU-Wahlkampf organisiert, noch zurück: „Wir nehmen die Sache ernst, müssen aber abwarten, was die Staatsanwaltschaft an Ergebnissen vorlegt und ob es zur Anklage kommt.“ Intern werden wütende Christdemokraten deutlicher: Möglicherweise sei man von der 43-jährigen Nicolaus gelinkt worden.

Deren Erklärungsnot dürfte in den nächsten Wochen noch wachsen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nämlich längst auch wegen zahlreicher anderer Vorwürfe. Im Visier hat man dabei vor allem Nicolaus Stellvertreter im Gemeinderat. Als Eigentümer einer Dachdeckerei soll er ohne die notwendige Ausschreibung Bauaufträge bei der Beseitigung der Flutfolgen erhalten haben. Im Fall Hartmannsdorf (Spottname „Klein-Palermo“) gerät aber auch das Landratsamt unter Druck, da man dort den umstrittenen Notarvertrag zur Umwandlung des Privatwegs kritiklos abgesegnet hatte.

Drohende Anklage sorgt für Nervosität in Fraktion

Sollte sich der Betrugsvorwurf gegen Nicolaus vor der Landtagswahl bestätigen, könnte die sächsische CDU erstmals seit 1991 einen Wahlkreis verlieren. Noch hofft man aber, über diese Klippe zu kommen, zumal die Zwickauer Lokalpresse zu dem Fall bisher fast nur Stimmen von Bürgermeisterkollegen veröffentlicht, die sich demonstrativ hinter Nicolaus stellen. Für den Fall, dass die Politikerin, die 2003 sogar als Nachfolgerin der wegen ähnlicher Vorwürfe zurückgetretenen Ex-Sozialministerin Christine Weber gehandelt wurde, den Sprung in den Landtag schafft und später trotzdem angeklagt wird, „habe man allerdings ein Riesenproblem“, heißt es in der Regierungsfraktion. S. 1/4
(Von Gunnar Saft)