Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, Seite 4, 27.07.2004
„Diese Regierung erstickt an ihrer Machtarroganz"
Spitzenkandidat Thomas Jurk hält seine Sachsen-SPD nicht für eine Splitterpartei und will sie mehr in den Regionen verwurzeln
Dresden. Fraktion- und Parteichef ist Thomas Jurk seit wenigen Wochen in Personalunion. Als Spitzenkandidat der SPD in Sachsen kämpft er gegen den Bundestrend und die Angst, erstmals in der Geschichte der SPD unter die 10-Prozent-Grenze zu rutschen. Mit Jurk sprach Hubert Kemper.
Freie Presse: Die Volkspartei SPD droht hierzulande zur Splitterpartei zu verkommen. Bedrückt Sie das?
Thomas Jurk: Von Splitterpartei kann keine Rede sein. Es gibt Regionen wie Leipzig und Chemnitz, da sind wir Volkspartei und andere, da weisen wir weiße Flecken auf.
Freie Presse: Eine aktuelle Umfrage spricht der SPD noch 10 Prozent zu.
Jurk: Das sind Momentaufnahmen, die sich bis zum Wahltermin verändern werden. Viel hängt von der Mobilisierung der Wähler ab. Und 10 Prozent gibt es nur in Alpträumen.
Freie Presse: Zum Gegenwind aus Berlin kam hierzulande der Streit um Führung und Kandidaten Wie wollen Sie das Bild der Zerrissenheit kitten?
Jurk: Die Eskalation des Streits mit dem Ergebnis, dass wir jetzt einen Spitzenkandidaten haben, hat nicht nur Nachteile. Nun herrschen klare Verhältnisse, die alle Kräfte vereinen. Nicht auszudenken, wenn sich der Streit noch weiter hingezogen hätte oder während des Wahlkampfes neu ausgebrochen wäre.
Freie Presse: Die Ex-Vorsitzende Constanze Krehl galt als braves Mitglied im Bundesvorstand während Sie Kritik angemeldet haben. Müssen Sie im Wahlkampf wieder auf Linientreue einschwenken?
Jurk: Ich will vor allem deutlich machen, dass wir einen Landtag wählen und uns mit der CDU-Regierung auseinander setzen. Da werde ich auch deutlich machen, dass sich Ministerpräsident Milbradt im Vermittlungsausschuss für die Hartz IV-Gesetze ausgesprochen, im Bundesrat aber dagegen gestimmt hat. Das nenne ich unglaubwürdig.
Freie Presse: Der Genosse Trend ist erneut gegen Sie. Wie wollen Sie Ihren Wählern die harten Einschnitte beim Arbeitslosengeld II erklären?
Jurk: Indem ich versuche, deutlich zu machen, in welch' dramatisch sich verändernder Welt wir leben. Der Staat ist an den Grenzen seiner Möglichkeiten angekommen und muss den Einzelnen stärker in die Verantwortung nehmen.
Freie Presse: Kritik an der Bundesregierung ist tabu?
Jurk: Keineswegs. Ich hätte mir gewünscht, dass wir über die Auswirkungen der Reformen vorher diskutiert und die ostdeutschen Bedürfnisse stärker berücksichtigt hätten. Wäre das geschehen, hätten wir keinen Argumentationsnotstand.
Freie Presse: Wünschen Sie sich Kanzler Schröder als Wahl-Redner?
Jurk: Ich freue mich, dass der Kanzler am 24. August nach Leipzig kommen wird. Vielleicht wird sich der eine oder andere daran erinnern, was wir seiner Unterstützung vor zwei fahren bei der Flut zu verdanken haben. Selbst Milbradt rühmt sich noch der Impulse, die der Wiederaufbau unserer Wirtschaft beschert hat.
Freie Presse: Vom Verdruss über die Bundespolitik profitieren die Grünen und im Osten die PDS. Wie wollen Sie sich in Szene setzen?
Jurk: Wir wollen die CDU dort packen, wo sie ihre Schwächen hat. Die Regierung ist eine Laienspielschar mit nur wenigen brauchbaren Darstellern. Inhaltlich liefert sie Angriffspunkte von der Schule über die innere Sicherheit bis zum fatal falschen Einsatz von Fördermitteln.
Freie Presse: Sie können alles verdammen und besser machen wollen, weil Sie nicht Gefahr laufen, in die Verantwortung genommen zu werden.
Jurk: Wir haben uns in der Oppositionsarbeit nicht mit billigem Opportunismus zufrieden gegeben, sondern konstruktive Alternativen aufgezeigt. Ein Beispiel ist die Schulpolitik, ein anderes die Mittelstandsförderung, die erst auf unser Betreiben von Minister Gillo in Angriff genommen worden ist. Auch bei der Verteilung der Fördermittel gibt es Unterschiede. Während die Region Dresden bevorzugt wird, sind einzelne Regionen wie das Erzgebirge abgekoppelt worden. Diese Regierung erstickt an ihrer Machtarroganz, an ihrer Verfilzung und der Unfähigkeit der CDU, Selbstreinigungskräften Platz zu machen.
Freie Presse: Die SPD ist in Sachsen in nur in wenigen Regionen stark und von einer Volkspartei weit entfernt.
Jurk: Richtig. Wir sind zwar in allen 6o Wahlkreisen mit Direktkandidaten vertreten, aber ansonsten in vielen Regionen viel zu wenig verwurzelt. Das zu erreichen, wird ein langer Weg sein.