Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 07.08.2004

Bibbern auf hohem Niveau

Erschrecken in Sachsens erfolgsverwöhnter CDU: Sie sinkt in Umfragen unter die 50 Prozent-Marke / Wahlen am 19. September
 
Am 19. September muss Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt sein Meisterstück machen und die von Kurt Biedenkopf geerbte absolute Mehrheit der CDU verteidigen. Doch der Wahlkampf bekommt ein Thema, das Milbradt gar nicht freut: Hartz IV.

Dresden · 6. August · Am vergangenen Wochenende war Milbradt in die Luft gegangen. In einem Ballon schwebte er über Leipzig. Es war eine angenehme Fahrt bei schönem Wetter, nur die Landung wurde ruppig. Eine Böe hatte den Ballon erfasst und ließ den Korb unsanft über einen Acker schleifen. Kein Drama, Milbradts Sohn am Fuß verletzt, alle anderen nur ein bisschen durchgeschüttelt, aber erschrocken.

Bei der Landtagswahl am 19. September wird es für Milbradt vielleicht so ähnlich wie mit seiner Ballonfahrt. Bislang glitt der 59-Jährige frohgemut über sein Sachsenland, getrieben von erfreulichen Umfragen, die ihn deutlich jenseits der 50-Prozent-Marke sahen. Keine dunkle Wolke am Himmel. Im vergangenen Dezember lag Sachsens CDU noch bei 59 Prozent. Alles sah so aus, als würde Milbradt die ungewöhnliche Erfolgsserie seines Vorgängers Kurt Biedenkopf - drei fette absolute Wahlsiege - mit Leichtigkeit fortführen. Doch nun, kurz vor der Landung am 19. September, wird es ungewohnt böig in Sachsen. Die Umfragewerte brechen ein und liegen seit langer Zeit erstmals klar unter 50 Prozent. Eine Umfrage des Rundfunksenders MDR sieht die CDU bei 44 Prozent, die PDS bei 25 und die SPD bei zwölf. Käme es so, es wäre eine gigantische Bruchlandung für die christdemokratischen Dauergewinner.

"Man wird schon unruhig", heißt es in der CDU-Fraktion. Vor allem macht nervös, dass die Umfragen im Moment so rapide einbrechen für die CDU. Als Ursache für das Absinken in der Wählergunst gilt die Berliner Reformpolitik. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sorgt in Ostdeutschland für Angstgefühle, die von PDS und Boulevardzeitungen noch geschürt werden. Der Landtagswahlkampf hat plötzlich ein unbeherrschbares Thema, das Milbradt quer im Magen liegen dürfte: Die CDU wird als Juniorreformpartner für Berlin in Mithaftung genommen. "Den etablierten Parteien wird nichts mehr geglaubt", klagt CDU-Generalsekretär Hermann Winkler. "Es ist ein Zeit großer sozialer Unsicherheit."

Milbradt hat zwar schon reagiert. Noch im Dezember stimmte Sachsen im Vermittlungsausschuss für die Arbeitsmarktreformen, im Juli aber votierte man im Bundesrat dagegen. Handwerkliche Mängel an den Reformen beklagten die Sachsen schon längere Zeit. Dass das allgemeine Geschrei um Hartz IV allerdings Einfluss auf Milbradts Wahlergebnis im September bekommen könnte, dämmert ihnen erst seit kurzem. Milbradt macht das einzige, was ihm bleibt, wenn er halbwegs glaubwürdig bleiben will: Er fordert eine Aussetzung der Reformen. Ein Jahr nachdenken und reparieren, dann auf ein Neues. Was, käme es so, den schönen Effekt hätte, dass er das Thema vor den Wahlen los wäre, Kanzler Gerhard Schröder (SPD) es aber ein Jahr vor seiner Wahl immer noch am Bein kleben hätte.

Weil aber vermutlich nichts daraus wird, muss sich Sachsens CDU mit der Popularität ihres Ministerpräsidenten behelfen. Der ist im Lande nämlich weitaus beliebter als seine Partei. "Milbradt, Milbradt und noch einmal Milbradt", heißt intern das Wahlkampfmotto. Und alle wach rütteln: "Wir müssen unsere Leute zur Wahl kriegen." Ansonsten hoffe man, dass Friedrich Merz in Berlin seinen Mund halte und nicht noch einmal etwas fordere wie die Abschaffung des Kündigungsschutzes. Andernfalls, so Generalsekretär Winkler kürzlich, könnte der "Bodensatz" für Sachsens CDU noch nicht erreicht sein.
(von Bernhard Honnigfort)