Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 05.01.2001
SPD-Fiasko: Ohne Wahl verloren
Karl Nolle erklärt seinen Rücktritt als Dresdner OB-Kandidat
DRESDEN. Karl Nolle erklärt seinen Rücktritt als Dresdner OB-Kandidat/ Landesvorsitzende Constanze Krehl hält Wolfgang Berghofer „durchaus für vorstellbar“
Auf den Tischen im SPD-Unterbezirk am Dresdner Wettiner Platz stand nur Mineralwasser und Kaffee. Sekt hätte den Genossen des Stadtausschusses am Mittwochabend auch nicht geschmeckt. Karl Nolle, seit dem 6. Oktober 2000 designierter Kandidat für die Wahl zum Dresdner Oberbürgermeister im kommenden Juni, hielt seine letzte Ansprache in diesem vorläufigen Amt. Seine Rücktrittserklärung.
Die SPD, die morgen ihren Kandidaten endgültig bestätigen wollte, hat damit ein halbes Jahr vor der Wahl keinen Bewerber mehr für diesen Posten – neben dem Ministerpräsidenten und dem Leipziger Oberbürgermeister wohl der wichtigste in Sachsen. Das ist beben der Blamage die größte Niederlage, die die Sozialdemokratie in Sachsen je erlebt hat, und das hat sie ohne eine Wahl hinbekommen. Und zur Krönung des eigenen Scheiterns wird als letzte Alternative der letzte SED-Oberbürgermeister Dresdens, Wolfgang Berghofer, wieder ins Spiel gebracht.
„Befreiungsschlag, keine Beerdigungsparty“
„Die Stimmung war gedrückt, die meisten waren überrascht und auch geschockt“, sagt Nolle selbst. „Es hatte ja nie vorher eine größere Zustimmung für einen SPD-Kandidaten gegeben als in diesem Stadtausschuss.“ Er habe aber jetzt ein gutes Gefühl: „Das war ein Befreiungsschlag und keine Beerdigungsparty.“
Niemand in der SPD-Führung habe Druck auf ihn ausgeübt, sagt Nolle. Die Entscheidung habe er ganz allein getroffen. „Ich wollte einem notwendigen Bündnis der Oppositionsparteien gegen Amtsinhaber Herbert Wagner nicht mit meiner Person im Wege stehen.“
PDS und Grüne hatten Nolle als gemeinsamen Kandidaten heftig abgelehnt.
Die Rücktrittsentscheidung wurde Nolle aber von führenden SPD-Genossen wohl doch leicht gemacht. Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering war eigens aus Berlin angereist. Weil er im Stau stand, kam er etwas zu spät, und Nolle bot ihm noch seinen Stuhl an.
Doch das Problem Nolle war seit Wochen Chefsache in der sächsischen SPD. Landtagsfraktion und Landesvorstand suchten krampfhaft nach einer Alternative zu ihm.
In Süd-Kreisen ist von Gesprächen des Landtagsfraktionschefs Thomas Jurk mit Müntefering die Rede. „Auf dem Weihnachtsfest der Landtagsfraktion saß Nolle meistens alleine mit seiner Frau, seine Isolierung war deutlich fühlbar“, sagt ein SPD-Mann, der mitgefeiert hat.
Seine Bekanntschaft mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit dem er 1073 eine GmbH gründete und der 1999 auch seine Firma besuchte, macht den Druckereiunternehmer nicht populärer. Er eckte immer wieder an. Eine unglückliche Bemerkung über eine angebliche „nationalsozialistische Familientradition“ der Biedenkopfs war Thema auf einer SPD-Fraktionssitzung im Dezember. Und dass er sich sogar auf Briefköpfen als designierter SPD-Kandidat für die Oberbürgermeisterwahlen in Dresden bezeichnete, brachte ihm nur Spott hinter vorgehaltener Hand.
Offenbar zwischen Weihnachten und Silvester zog Nolle die Konsequenzen. In einer mehrseitigen E-Mail an die Dresdner SPD-Unterbezirksvorsitzende Marlies Volkmer teilte er ihr mit, dass er sich von seiner Kandidatur verabschieden werde. Und setzte damit einen Schlusspunkt unter ein Fiasko, das er nicht allein verursacht hat. Die Dresdner Genossen fanden einfach keinen geeigneten Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters.
Voriges Jahr hatten sie noch gemeinsam mit PDS und Grünen etwa 20 Leute angesprochen. Darunter Namen wie Wolfgang Berghofer, den früheren Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau und die populäre Brandenburger Ex-Ministerin Regine Hildebrandt. Jedes Mal Fehlanzeige. Selbst Gregor Gysi wurde genannt. Der parteilose Traumkandidat, Dresdens Kulturbürgermeister Jörg Stüdemann, ging lieber nach Dortmund. So blieb Landtagsabgeordneter Karl Nolle als einziger übrig.
Im Grunde fängt das Dilemma der Dresdner SPD aber schon 1990 an. Ihr Kandidat Albrecht Leonhardt verlor damals die Kommunalwahl gegen Unionsmann Herbert Wagner (CDU). Der hat auch seine Popularitätsprobleme. Bis 1999 trat Leonhardt immer wieder gegen Wagner an – und verlor jedes Mal wieder. Die SPD in Dresden gründete 1990 eine Tradition der Niederlagen.
Gestörtes Verhältnis zum Landesvorstand
Die Landesführung mischte sich in der Hauptstadt nie ein. „Es gab immer wieder Konfrontationen zwischen dem Unterbezirk (UB) Dresden und dem Landesvorstand“, erinnerte sich der ehemalige Landesvorsitzende Karl-Heinz Kunckel. „Ich war nie in einer Situation, in der Dresden für mich eine Stütze war.“ Der UB-Dresden spielte eine Sonderrolle. Sein Ex-Vorsitzender Manfred Müntjes hatte sich als einer der ersten sächsischen SPD-Politiker für ein engeres Zusammengehen mit der PDS ausgesprochen.
Damit stand Dresden voll gegen die Linie der Landespartei. Aber auch als Müntjes und Kunckel 1999 von Marlies Volkmer und der Leipziger Europaabgeordneten Constanze Krehl abgelöst wurden, besserte sich die Zusammenarbeit nicht. „Möglicherweise“, spekulieren Dresdner Genossen, „ist man in Leipzig an einem starken Dresden ja auch gar nicht interessiert.“
Viele Warnungen vor dem letzten SED-OB
Nun steht die SPD vor dem peinlichen Dilemma, doch wieder Funkverbindung zu Berghofer aufzunehmen. „Ich halte einen parteiübergreifenden Kandidaten Berghofer durchaus für vorstellbar“, sagte die SPD-Landesvorsitzende Constanze Krehl gegenüber der SZ. Es sein nicht von der Hand zu weisen, dass Berghofer derzeit der aussichtsreichste Herausforderer sei, um den jetzigen Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU) abzulösen. Wer ernsthaft daran interessiert sei, dass Wagner abgewählt werde, „müsse Gedanken in einen Kandidaten Berghofer investieren“. Das aber empfinden andere als gefährlich. „Wir wissen doch gar nicht, wofür der steht“, warnt Ratsfraktionschef Andreas Herrmann. „Ist er der Mann der reformistischen SED-Kader, oder ist er als Wirtschaftler so weit rechts, dass es sogar der Mehrheit der CDU-Fraktion kalt den Rücken runterläuft?“
Auch Kunckel, der Berghofer nicht als SED-Hardliner sieht, warnt: „Das wäre eine Beerdigung der Revolution von 1989. Zehn Jahre nach dem Ende der DDR soll es keine tragbare Alternative gegen einen CDU-Kandidaten geben als den letzten SED-Bürgermeister Dresdens? Was ist denn das für ein Signal?!“ Kunckel selbst wäre für eine Kandidatur frei. Doch er winkt ab: „Ich stehe nur noch für Wahlen zur Verfügung, wo ich die Chance habe zu gewinnen. Das ist bei der verfahrenen Kiste nicht drin.“
(Markus Lesch)
Kommentar
Die SPD-Landesvorsitzende hat am 4.1.01, ohne sich mit der Dresdner SPD ins Benehmen zu setzen, die Wählbarkeit von Berghofer ins Spiel gebracht.
Eine Meinungsbildung zu Berghofer kann aber in der Dresdenr SPD solange nicht stattfinden, als von ihm keinerlei Aussagen über Inhalte und Politikstil vorliegen und ebenfalls keine Antwort auf eine Kandidatur gegeben wurde. Sollte der Versuch gemacht werden, von wem auch immer, ohne Prüfung, Würdigung und Bewertung aller bekannten und noch abzufordernden Fakten eine Berghoferunterstützung der Dresdner SPD mehrheitlich aufzuzwingen, so ist das die Zerreissprobe der Partei, abgesehen davon dass zahlreiche Mitglieder mit zusammen einigen zehn Jahren Bautzen nach der Wende ihre politische Heimat in der SPD gefunden haben.
Mit den Altlasten von Berghofer wird kein Amtsbote, Referent oder Referatsleiter bei der Stadt oder sonstwo im öffentlichen Dienst eingestellt.
Um nicht mißverstanden zu werden, es geht um die Spitze der Stadt, an die andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Berghofer als OB, das wäre ein Schlag ins Gesicht der tausenden Kleinen, die man "hängte" um die Großen laufen zu lassen.
Wäre das nicht gerade das falsche Signal 10 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur? Ich bin gespannt auf die demokratischen Verrenkungen, die uns in den nächsten Monaten noch zugemutet werden und auf die überzeugenden Erklärungen, warum mit Berghofer alles gut werden wird. Einige U-Boote, auch in der SPD, haben ihre Sehrohre zum Auftauchen schon ausgefahren. Da wird es seltsame Koalitionen geben.
KARL NOLLE