Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 06.01.2001
Ostrowski will auf OB-Kandidatur verzichten
PDS macht Weg für Wolfgang Berghofer frei
DRESDEN. Der Ruf nach Wolfgang Berghofer wird immer lauter. Nach SPD-Landesvorsitzender Constanze Krehl hat gestern auch PDS-Landeschef Peter Porsch eine parteiunabhängige Kandidatur des letzten SED-Oberbürgermeisters für vorstellbar erklärt. "Berghofer wäre ein Weg, den Dresdnern eine wählbare Alternative zu Wagner anzubieten und der Stadt neue Perspektiven zu öffnen", sagt er. Porsch forderte die Dresdner PDS auf, die "Option Berghofer" in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen zu stellen.
Christine Ostrowski, die sich für die PDS um den OB-Stuhl bewerben wollte, reagierte prompt. "Ich bin bereit, auf meine Kandidatur zu verzichten", erklärte sie gestern Nachmittag, "wenn die SPD auch auf eine eigene Kandidatur verzichtet." Die Dresdner PDS habe schon immer klar gemacht, dass sie den aussichtsreichsten oppositionellen Kandidaten unterstütze. Und der heiße nun mal Berghofer.
Dass Parteien oder Bürgerinitiative noch einen geeigneteren Kandidaten finden, glaubt PDS-Stadtchef Michael Schrader nicht. "Jetzt ist es allerdings Zeit, dass sich Berghofer erklärt", sagt er. Man habe vorgestern vergeblich versucht, ihn zu erreichen. Nach SZ-Informationen hält er sich in Kanada auf. Dresdens SPD-Fraktionschef Andreas Herrmann begrüßt zunächst den Rückzug Ostrowskis. "Das zeigt, dass das angestrebte Wahlbündnis noch nicht tot ist", sagt er. Berghofer wird von Herrmann abgelehnt. "Er ist für mich ein Mann der Vergangenheit. Niemand weiß, wofür er heute steht", sagt er. Landeschefin Krehl habe mit Berghofer nicht die Meinung der Dresdner SPD getroffen. Auch für die Bündnisgrünen ist Berghofer als gemeinsamer Kandidat "unvorstellbar".
CDU-Bundestagsabgeordneter Arnold Vaatz indes bezeichnet Berghofer als seinen "Wunschkandidaten". "Dann wären die Dresdner zur Entscheidung gezwungen, ob sie die Tradition von 1989 endlich begraben wollen oder ob sie jemanden in die Wüste schicken, der die Stadt in den letzten zehn Jahren aufgebaut hat", erklärt Vaatz. Er sehe dem Urteil mit größter Gelassenheit entgegen. Von einem Antreten Berghofers erhoffe er sich außerdem einen Selbstfindungsprozess in der CDU, aus der die Union mit neuer Geschlossenheit und Siegeswillen hervorgehe.
Auch FDP/DSU-Chef Jan Mücke sieht keinen Grund zur Aufregung. "Selbst wenn Berghofer gewinnen würde, hätte er keine Mehrheit im Stadtrat", sagt er. Lehne die Koalition seine Vorlagen permanent ab, bliebe von seinem Ruf als Macher schon bald nichts mehr übrig.
Die Bürgerinititative "OB für Dresden" sucht unterdessen weiter nach einer Alternative, denn auch sie ist gegen Berghofer. Mit am häufigsten sei von den Dresdnern der ehemalige Kulturbürgermeister Jörg Stüdemann (parteilos) vorgeschlagen worden. Aber der habe signalisiert, dass er in Dortmund bleiben wolle. Auf SZ-Anfrage, ob er doch noch kandidieren würde, erklärte Stüdemann gestern: "Dazu will ich mich nicht äußern."
(von Katrin Saft)
Kommentar
Die SPD-Landesvorsitzende hat am 4.1.01, ohne sich mit der Dresdner SPD ins Benehmen zu setzen, die Wählbarkeit von Berghofer ins Spiel gebracht.
Eine Meinungsbildung zu Berghofer kann aber in der Dresdenr SPD solange nicht stattfinden, als von ihm keinerlei Aussagen über Inhalte und Politikstil vorliegen und ebenfalls keine Antwort auf eine Kandidatur gegeben wurde. Sollte der Versuch gemacht werden, von wem auch immer, ohne Prüfung, Würdigung und Bewertung aller bekannten und noch abzufordernden Fakten eine Berghoferunterstützung der Dresdner SPD mehrheitlich aufzuzwingen, so ist das die Zerreissprobe der Partei, abgesehen davon dass zahlreiche Mitglieder mit zusammen einigen zehn Jahren Bautzen nach der Wende ihre politische Heimat in der SPD gefunden haben.
Mit den Altlasten von Berghofer wird kein Amtsbote, Referent oder Referatsleiter bei der Stadt oder sonstwo im öffentlichen Dienst eingestellt.
Um nicht mißverstanden zu werden, es geht um die Spitze der Stadt, an die andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Berghofer als OB, das wäre ein Schlag ins Gesicht der tausenden Kleinen, die man "hängte" um die Großen laufen zu lassen.
Wäre das nicht gerade das falsche Signal 10 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur? Ich bin gespannt auf die demokratischen Verrenkungen, die uns in den nächsten Monaten noch zugemutet werden und auf die überzeugenden Erklärungen, warum mit Berghofer alles gut werden wird. Einige U-Boote, auch in der SPD, haben ihre Sehrohre zum Auftauchen schon ausgefahren. Da wird es seltsame Koalitionen geben.
KARL NOLLE