Karl Nolle, MdL

taz - die tageszeitung, 20.09.2004

Saechsische CDU verliert Alleinherrschaft

Zugewinne fuer PDS, Sozialdemokraten knapp vor NPD, Zittern bei Gruenen - und die CDU sucht einen Koalitionspartner
 
DRESDEN taz "Dona nobis pacem", sang ein Chor der "Buergerrechtsbewegung Solidaritaet" vor dem Landtag, Jusos und das Netzwerk "Tolerantes Sachsen" zeigten auf dem Vorplatz Plakate "Rechtsextremismus bekaempfen, Demokratie foerdern". Geholfen hat das ebenso wenig wie die Lawine von Wahlaufrufen in letzter Sekunde. Die rechtsextreme NPD schafft in der befuerchteten Hoehe den Einzug in den Saechsischen Landtag.

Das Statement von Spitzenkandidat Holger Apfel und dem NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt im Landtagsfoyer ging zwar in Buhrufen unter, doch Apfel triumphierte: "Das ist ein fulminantes Signal fuer die Bundestagswahl 2006, mit einer vereinigten Rechten in den Bundestag einzuziehen." Apfel behauptete, die Kampagne von Medien und Politikern haette die "nationalen Waehler" erst recht mobilisiert. Er kuendigte eine Fundamentalopposition an.

Wie sehr sich die Verhaeltnisse in Sachsen veraendert haben, illustriert die verhaltene Freude der SPD, zumindest knapp vor der NPD geblieben zu sein. Vor allem junge Leute, Arbeiter und Arbeitslose haben die NPD gewaehlt. Die Ergebnisse spiegeln den bereits bei den Europa- und Kommunalwahlen im Juni ablesbaren Trend zu den kleineren Parteien wider. Die wiederum nur schwache Wahlbeteiligung verschob die Relationen zusaetzlich zu ihren Gunsten.

Am Wetter kann sie nicht gelegen haben, ab Mittag zogen wenig ausflugsattraktive Regenwolken ueber Sachsen. Spaetestens um 18 Uhr erreichten sie dann auch den Fraktionsraum der CDU. Beim Erscheinen der ersten Hochrechnung verstummte der Saal wie auf einer Beerdigung. Die absolute Mehrheit ist dahin, die CDU wird sich daran gewoehnen muessen, die Macht mit einem Koalitionspartner zu teilen. Ministerpraesident Georg Milbradt wirkte sichtlich betreten und zog sich auf eine "Normalisierung der Stimmenverhaeltnisse" zurueck. Es sei ohnehin eine Ausnahmesituation fuer die CDU gewesen, in Sachsen mit absoluter Mehrheit zu regieren.

Wie Milbradt aeusserten auch Politiker anderer Parteien Sorge ueber den Ruf Sachsens nach dem Einzug der NPD. Spannend duerfte nun werden, ob innerhalb der CDU die alten Fluegel der ehemaligen Konkurrenten Biedenkopf und Milbradt wieder aufbrechen, da Ministerpraesident Georg Milbradt als erneuter Mehrheitsbeschaffer versagt hat. Die CDU hatte im Wahlkampf ganz auf den Nimbus gesetzt, den Sachsen auch im Westen geniesst. Musterland im Osten, in einigen Wirtschaftszweigen besser als der Westen, bei der Pisa-Studie auf dem dritten Platz in Deutschland. Die Waehler in Sachsen empfanden ihre persoenliche Situation offenbar anders.

Jede Veraenderung mit Ausnahme der NPD-Stimmen ist besser als eine Fortschreibung der absoluten CDU-Mehrheit. Auf diesen Minimalkonsens liesse sich der Wahlkampf aller anderen Parteien bringen. Das scheint gelungen, und PDS-Spitzenkandidat Peter Porsch pries diesen Erfolg als Erster. Die PDS freute sich an diesem Abend trotz des schwachen Zugewinns vor allem darueber, dass die Stasi-Kampagne ihrem Spitzenkandidaten offensichtlich wenig geschadet hat.

Die SPD hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet und weinte deshalb nicht so laut. "Gemessen an der Ausgangslage koennen wir zufrieden sein", meinte ihr Schlachtross Karl Nolle. Man habe sich im Wahlkampf trotz Hartz IV nicht versteckt, sagte Spitzenkandidat Thomas Jurk. "Wir werden noch wahrgenommen", das wertet eine SPD in Sachsen schon als Erfolg. "Fuer uns geht ein lange Durststrecke zu Ende", freute sich der FDP-Spitzenmann und Werbeagenturchef Holger Zastrow. Er wiederholte sein Koalitionsangebot an die CDU. "Es kann mit einer buergerlichen Mehrheit weitergehen, wenn die CDU zu wirklichem Reformen bereit ist." Antje Hermenau von den Gruenen kuendigte an, auf jeden Fall in der Opposition bleiben zu wollen. Der Einzug der Gruenen in den Landtag stand lange auf der Kippe.
MICHAEL BARTSCH