Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 29.09.2004

Koalition der Vernunft: Schnupperkurs für eine Zweck-Ehe

 
Dresden. Als sich Georg Milbradt und Thomas Jurk gegen 15 Uhr dem Blitzlichtgewitter der Fotografen stellen, müssen sie sich minutenlang die Hände schütteln und freundlich dabei ansehen. Fast kumpelhaft wirkt die Szene im Großen Saal des Ständehauses in Dresden, in dem gestern die ersten Koalitionsverhandlungen für Sachsen begannen. Der Zwang zur Zweck-Ehe treibt den Ministerpräsidenten und den SPD-Chef dazu, gute Miene zu machen. Vorigen Sonntag hatte die CDU die absolute Mehrheit verloren, die SPD war zudem auf 9,8 Prozent abgesackt, aber dennoch Juniorpartner einer künftigen schwarz-roten Regierung geworden.

Es sei "keine Liebesheirat", sondern eine "Koalition der Vernunft", sagte Milbradt nach dem ersten Treffen. Das mit der Liebe könne ja noch kommen. Der bisherige Regierungschef hoffte zwar auf möglichst schnelle Ergebnisse, damit der Freistaat wieder handlungsfähig sei, räumte aber ein, dass der 19. Oktober als Abschlusstermin nicht gehalten werden könne. An diesem Tag - vier Wochen nach der Wahl - muss sich der Landtag neu konstituieren. Doch sei der Zeitraum zu kurz. Er wolle keine Formelkompromisse, sagte Milbradt. "Sonst haben wir den Knatsch hinterher."

Gestern stand nur der Themenplan auf dem Programm, ab Dienstag wird "über die Eckdaten und Problemlagen des Landes" beraten. Man wolle mit den "unkontroversen Themen" beginnen. Vereinbart wurde, die SPD mit Material wie den aktuellen Steuerdaten und den fertigen Haushaltsplänen für 2005 und 2006 zu versorgen, damit "Waffengleichheit herrscht" und nicht der Eindruck entsteht, so Milbradt, "dass wir die andere Seite über den Tisch ziehen". Es gebe ein "sehr gutes Klima", sagte Jurk sichtlich zufrieden. An ein Scheitern der Gespräche wollten weder Milbradt noch Jurk denken. "Wir sind uns unserer Aufgabe bewusst und werden das Wählervotum respektieren."

Als kleiner Verhandlungspartner gab sich der SPD-Chef am ersten Tag "wild entschlossen" und "selbstbewusst". Die SPD sehe das Wahlergebnis als "Chance zu einem neuen Anfang in Sachsen" und wolle "auf allen Feldern der Landespolitik Akzente setzen". Ziel der Gespräche sei nicht eine Politik des "kleinsten gemeinsamen Nenners". Zugleich nahm er die CDU in die Pflicht: In einer Koalition müssten beide Partner "ungeachtet ihrer Stärke" zum Kompromiss bereit sein. Dies zielte vor allem auf Differenzen in der Bildungspolitik.

Pikant ist indes die Zusammensetzung der Koalitionsrunde. Jede Seite ist mit fünf Gesprächspartnern und zwei Beratern vertreten. Sollte sich die Union entschließen, 2009 nicht wieder mit Milbradt anzutreten, säßen mit Thomas de Maizière sowie mit Parteivize und Umweltminister Steffen Flath zwei mögliche Nachfolgekandidaten am Tisch, wie manche Sozialdemokraten süffisant bemerkten. Die SPD holte sich indes mit Christoph Habermann einen erfahrenen Berater an die Seite. Der frühere Vizechef und Abteilungsleiter Inland im Bundespräsidialamt nahm großen Einfluss auf innenpolitische Reden Johannes Raus und hatte 1995 in der Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen den rot-grünen Koalitionsvertrag mit ausgehandelt. Seit voriger Woche trainiert er die Sachsen-SPD für das ungewohnte Match. Die CDU fürchtet indes eine "Fernsteuerung aus Berlin", zumal mit Rolf Schwanitz auch der Kanzleramtsminister mit am Tisch sitzt.

Einzige Frau in der Runde ist die Chemnitzer Sozialdezernentin Barbara Ludwig. Spekulationen, die SPD-Frau mit Verwaltungserfahrung und Fachkompetenz sei potenzielle Kandidatin für ein Ministeramt, werden allerdings dementiert. Genannt wird indes der Leipziger Ordnungsbeigeordnete Holger Tschense, den Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee gern nach Dresden entsenden wolle. Dass sich Tschense schon warmlaufe, gilt jedoch als eine überflüssige Sportübung.
(Sven Heitkamp)



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