Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 13.10.2004

Sachsenring-Affäre: Inoffizielle Mitteilungen mit offiziellen Folgen

Ex-SAG-Chef Ulf Rittinghaus zeigt Banker an: Er soll Geschäftsgeheimnisse verraten und damit die Insolvenz des Zwickauer Unternehmens mit verursacht haben
 
Die Parlamentarier des sächsischen Landtages machen in der Sache erst mal Pause. Aber ganz fallen lassen will die Opposition das Thema nicht und kündigte schon mal den nächsten Untersuchungsausschuss dazu an. Die Rede ist von der Privatisierung des Zentrums Mikroelektronik Dresden (ZMD). Um dessen Übernahme durch die Zwickauer Sachsenring Automobil Technik (SAG) ranken sich nach Ansicht der PDS im Landtag nach wie vor die „dubiose Finanzierung" der Beschäftigungsgesellschaft QMF und „weitreichende Vorwürfe des Subventionsbetruges". Weiterer Ärger könnte auf einige der Beteiligten zukommen.

Denn beim Weiterverkauf des ZMD durch die SAG soll es zum Verrat von „existenziellen Geschäftsgeheimnissen" gekommen sein. Diesen Vorwurf erhebt jetzt Ex-SAG Chef Ulf Rittinghaus in einer Strafanzeige gegen das Mitglied der Geschäftsleitung der Dresdner Niederlassung der Commerzbank, Wilhelm von Carlowitz.

Unbekanntes, aber beträchtliches Risiko

Der Verdacht geht zurück in das Jahr 2001. Damals gehörte ZMD zur SAG. Deren Chefs, die Brüder Rittinghaus, wollten das Mikroelektronik-Unternehmen aber wieder abstoßen und verhandelten darüber mit dem Wirtschaftsministerium. „Durch eigene Recherchen bei der EU hatten wir erfahren, dass wir mit ZMD ein bis dahin unbekanntes beträchtliches Finanzrisiko übernommen hatten", sagt Ulf Rittinghaus. Weder die Ministerien, noch die Commerzbank hätten darüber informiert, dass die Beihilfen für ZMD von Bund und Land seit 1992 in Höhe von etwa 150 Millionen Euro von der EU in Brüssel bisher nicht genehmigt waren. Wie sich herausstellen sollte, war Brüssel über das ganze Ausmaß der Millionen-Zuschüsse nicht einmal vollständig informiert (die SZ berichtete). Würde die EU ihre Zustimmung verweigern, drohten Rückzahlungen, die ZMD und wohl auch die SAG in die Insolvenz gebracht hätten, sagt Rittinghaus. „Deshalb wollten wir ZMD wieder loswerden und hatten auch amerikanische Investoren gefunden."

Die US-Investoren wollten ZMD aber nur zu einhundert Prozent übernehmen. Dazu musste die SAG eine Option von zehn Prozent ablösen, die der Freistaat noch immer an ZMD hielt. „Wir mussten sie abkaufen, um das US-Geschäft machen zu können", sagt Rittinghaus. Mit der Commerzbank habe man die Sache vorab vertraulich besprochen, da sie sowohl bei der SAG als auch bei ZMD zu den Hausbanken gehörte.

Einen Tag vor dein Treffen zwischen den SAG-Managern und dem Wirtschaftsministerium (SMWA) schrieb der zuständige Referent im Hause Schommer in seinen „Überlegungen" für die Verhandlungen nieder: „Wie das SMWA inoffiziell (vertraulich von der Commerzbank AG) erfahren hat, wird das Angebot von Herrn Rittinghaus über ca. Euro 6,5 Mio. (ca. DM 12,7 Mio.) lauten."

Die Verhandlung am folgenden Tag sei kurz und erfolglos gewesen, erinnert sich Rittinghaus. „Wir spürten, dass die Sache schon ohne uns negativ beschieden worden war." Erst später habe er erfahren, dass auch vertrauliche SAG-Unterlagen aus Verhandlungen mit den US-Investoren und sogar ein Vertragsentwurf zum Verkauf der ZMD ins Wirtschaftsministerium gewandert waren. „Mit dein Hinweis strengster Vertraulichkeit hatten wir diese Dokumente nur den Banken zur Verfügung gestellt", sagt Rittinghaus.

In der Folge sei der Verkauf von, ZMD an die US-Investoren gescheitert und die Zwickauer SAG weiter in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, so Rittinghaus. Der Ertrag aus dem geplanten US-Geschäft von etwa 18,5 Millionen Euro wäre nach seinen Angaben etwa doppelt so hoch gewesen wie die Liquiditätslücke, die die SAG ein Jahr später, im Mai 2002, in die Pleite trieb.

Zu dieser Zeit hatte Martin Gillo in Dresden gerade das Amt des Wirtschaftsministers angetreten. Dem Neuen versicherte die Commerzbank am 28. Mai 2002 sogar schriftlich: „Der Staatsregierung bzw. den Ministerien gegenüber pflegen wir in Sachen SAG einen vollständig offenen und vom Bankgeheimnis nicht eingeschränkten Gesprächskontakt." Der Brief trägt die Unterschrift von Wilhelm von Carlowitz.

Die Bank ist durch die Pleite selbst geschädigt

Der Vorwurf, er habe das Bankgeheimnis verraten, treffe „keinesfalls zu" und sei „ohne Substanz", sagt Wilhelm von Carlowitz und erklärt: Der Freistaat sei in Sachen ZMD und SAG immer Bürge für die Bank gewesen, wenn es um Kredite ging. Deshalb habe das Ministerium „immer mit am Tisch gesessen". Außerdem sei die Bank durch die SAG-Insolvenz selbst geschädigt. „Es gab also gar kein Motiv, die SAG in die Insolvenz zu treiben", sagt der Banker. Vielmehr sei bis zuletzt versucht worden, die SAG vor der Insolvenz zu bewahren.

Der Vorgang ist politisch brisant. Hatte der Freistaat das US-Geschäft nur platzen lassen, weil die SAG zu wenig bot? Aus dem Finanzministerium heißt es: Die SAG habe kein „belastbares Angebot" sowie „prüffähiges Zahlenmaterial" vorgelegt.

Doch über dem Freistaat schwebte auch das Damoklesschwert eines EU-Hauptprüfungsverfahrens. Würde es eingeleitet, müsste Sachsen zwangsläufig detailliert „alle Zuwendungen der öffentlichen Hand" vor der EU begründen. Auch jene 42 Millionen Mark - deklariert für Forschung und Entwicklung-, die wohl rechtswidrig als Verlustausgleich ausgezahlt worden waren.

Würde zudem auch noch öffentlich bekannt, dass der Freistaat noch immer zehn Prozent an ZMD hält, wäre die EU-Hauptprüfung wohl unvermeidlich gewesen. So war im Hause Schommer von „nicht gewünschten Schwierigkeiten" die Rede, falls über den Anteil des Freistaates an ZMD etwas veröffentlicht würde. Waren die Schwierigkeiten so groß, dass man das kleinere Übel wählte und der SAG das rettende US-Geschäft versagte, um größeren politischen Flurschaden in Brüssel abzuwenden? Dazu gibt es derzeit keine Stellungnahme aus den Ministerien. Die Antikorruptionseinheit der Dresdner Staatsanwaltschaft bestätigt den Eingang der Strafanzeige. „Die Anzeige befindet sich in der Vorprüfung, wir klären, wie sie im Zuge des gesamten Komplexes mit bearbeitet werden kann", sagt Oberstaatsanwalt Claus Bogner.
(von Thomas Schade)