Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 20.10.2004

NPD: Die auffallend Unauffälligen

 
Bei ihrem ersten Auftritt im sächsischen Landtag geben sich die neuen Abgeordneten der NPD ganz brav und bieder – bis auf ein paar Ausfälle.
Einige der Fotografen wollen einfach nicht den Saal verlassen. Längst schon bitten die Saaldiener des sächsischen Landtags die Männer mit ihren Kameras, doch nun den Anweisungen Folge zu leisten, damit die Sitzung endlich beginnen kann.

Aber die Reporter verharren entschlossen vor zwölf Sitzen ganz rechts im Landtag, ihre Objektive starr auf die Gesichter von zwölf Abgeordneten gerichtet. Als ob da noch etwas kommen müsste. Eine markante Geste, vielleicht ein martialischer Gesichtsausdruck, der etwas Verräterisches hätte. Irgendeine Auffälligkeit.

Aber nichts davon bekommen sie zu sehen. Vielmehr bemühen sich die zwölf neuen Parlamentarier der rechtsextremen NPD, die ersten in einem deutschen Landtag seit 1972, zu Beginn dieser ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode zunächst geradezu auffallend um Unauffälligkeit.

Die netten Männer von der NPD

Mit 9,2 Prozent der Stimmen haben sie bei der Wahl am 19. September den Sprung geschafft. Nun setzen sie viel daran, wie biedere Bürger zu erscheinen. Sogar ihre derben Leibwächter scheinen sich um Höflichkeit zu bemühen. Der junge Fraktionsvorsitzende Holger Apfel trägt einen modernen, hellen Anzug und bietet den Kameras ein freundliches Gesicht.

Nichts erinnert in diesen Minuten an die düstere Atmosphäre am Wahlabend, als Trupps der NPD die Presse-Fotografen wegschubsten und die rechtsextremen Politiker rabiat abschirmten. Seither blickten die Zuständigen im Dresdner Landtag bang der ersten Parlamentssitzung entgegen. Doch das befürchtete Spektakel bleibt aus.

"Kein Sex mit Nazis"

Draußen vor dem Gebäude protestieren rund 250 Menschen mit Transparenten ("Kein Sex mit Nazis"), Reden und Musikdarbietungen afrikanischer Tänzer gegen die NPD. Drinnen herrscht in den Reihen der demokratischen Parteien eine Ruhe wie selten.

Auch jene Politiker, die sonst kaum ihr Temperament zügeln können, sind sehr ernst. Als gälte es, nach dem Schock der Wahl besonders unaufgeregt die Würde des Parlaments zu wahren.

Der Alterspräsident Cornelius Weiss von der SPD fasst diese Stimmung in einer nachdenklichen Einführungsrede zusammen, in der er den hohen Wert der Demokratie in Krisenzeiten betont. Der frühere Rektor der Leipziger Universität nennt die Namen sächsischer Landtagsabgeordneter, die zur Zeit des Hitler-Regimes von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Er erinnert auch an Menschen, die später in der DDR für die Freiheit kämpften und dafür mit dem Leben bezahlten. Seine Rede endet der 71-Jährige mit einer Kampfansage an "alle Feinde der Demokratie". Sie sollten sich nicht täuschen:

"Die Demokratie ist die einzige Gesellschaftsform, die dem Menschen Würde gibt. Sie bleibt daher stark und wird notfalls verteidigt werden." Als er dafür von allen außer den NPD-Deputierten starken Beifall erhält, blitzt für einen Moment auf, was gern als Einigkeit aller Demokraten gepriesen wird.

All das beantworten die Rechtsextremen mit Reglosigkeit – im offenkundig festen Willen, vor der großen Öffentlichkeit mit Blick auf die Bundestagswahl 2006 ein seriöses Bild abzugeben. Ausdauernd lächelt auf der Tribüne auch ihr Bundesparteichef Udo Voigt.

"Ein Schatten von Adolf Hitler"

Als der Fraktionsvorsitzende Apfel dann im Streit um die neue Geschäftsordnung zum ersten Mal das Wort ergreift, beginnt er ausgemacht höflich. Verbeugt sich zum Herrn Landtagspräsidenten, einem Christdemokraten, spricht galant die "Damen und Herren" im Saal an, bevor er in einem atemlosen und am Ende ein wenig bellenden Stakkato zu reden beginnt.

Es scheint, als spräche er so schnell, weil ihm der intellektuell durchaus anspruchsvolle Text arg fremd sei. Auch entspricht, das was er sagt, anfangs nicht dem, was man von Rechtsextremen kennt. Apfel redet von demokratischem Verfahren und den Rechten kleiner Parteien.

Eine fast grotesk erscheinende Lobpreisung der parlamentarischen Spielregeln, die in der Aussage gipfelt, dass er und seine Leute am Ende noch die "letzte demokratische Instanz hier im Hause" sein würden, während die anderen sich Pfründen zuschacherten.

Um so mehr fallen die kurzen Bemerkungen auf, mit denen der Neo-Politiker mitten hinein in seine Camouflage nationalistische Duftmarken setzt.
Als er die anderen Parteien im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten als "Systemparteien" bezeichnet, verpasst es der Landtagspräsident einzugreifen.

Wenig später horcht nicht nur das Plenum auf, als Apfel für die NPD eine konstruktive Zusammenarbeit anbietet, die, so betont er ausdrücklich, den Deutschen im Land helfen solle.

Die anderen Abgeordneten suchen nach der richtigen Art, darauf zu reagieren. Ein Grüner sitzt die ganze Zeit abgewandt, mit dem Rücken zum Rednerpult. Auch einige PDS-Politiker haben sich auf ihren Bänken vom Redner abgekehrt.

Viele Parlamentarier haben vorher beschlossen, dass die Rechten ihnen keinen Zwischenruf wert sein sollen. Einige aber mögen irgendwann nicht mehr an sich halten. "Totengräber", ruft der Sozialdemokrat Karl Nolle erregt.

Auf der Landtagstribüne sind die Gäste nach dem anfangs so moderaten Auftakt nun doch erschrocken. Die eigens angereiste Grünen Bundesvorsitzende Claudia Roth hat schon während der Rede unruhig vor sich hin geschimpft, warum denn bloß niemand eingreife.

Und kopfschüttelnd verlässt der sächsische Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl die Tribüne. Ein richtig demagogischer Auftritt sei das gewesen, erregt er sich. Der Rabbiner weiß, dass diese Rede von anderen vermutlich gar nicht als spektakulär düster empfunden wird. Aber bei ihm haben der Inhalt und der Ton Beklemmung ausgelöst: "Kein Atem, keine Punkte, keine Kommas – wie ein Schatten von Adolf Hitler."
Von Jens Schneider