Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 04.11.2004

Zerreißprobe nach Einigung

Koalitionsvertrag spaltet CDU / Heftige Kritik vom Wirtschaftsflügel und von Noch-Minister Rößler
 
Alles wird gut. Mit dieser demonstrativen Botschaft traten gestern CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt und SPD-Fraktionschef Thomas Jurk vor die Öffentlichkeit. Im Gepäck hatten die Ex-Verhandlungsführer den lang erwarteten Koalitionsvertrag (siehe Kasten), der ihnen nun eine gemeinsame Regierungszeit bis 2009 sichern soll.

Immer wieder war deshalb von „vernünftigen Kompromissen“ die Rede. Milbradt fand Jurks „hartes, aber faires“ Auftreten am Verhandlungstisch gut. Jurk, der von der Oppositionsbank ins Regierungslager wechselt, revanchierte sich mit einer Bemerkung über das „gute Verhältnis, zu dem beide Politiker gefunden“ hätten. Verwundert über die Einigkeit der Ex-Kontrahenten war niemand. Milbradt selbst hatte das CDU-SPD-Bündnis bereits zu Beginn der wochenlangen Koalitionsrunden als Vernunftehe und nicht als Liebesheirat beschrieben.

Gelassenheit beim Koalitionspartner SPD Doch die neue politische Harmonie, die nun per Vertrag festgeschrieben ist, findet nicht überall Zustimmung. Allein die SPD-Fraktion „kann mit den Vereinbarungen leben“, wie Jurk berichtete. Georg Milbradt musste dagegen einräumen, dass sich in seinem Lager „der Jubel in Grenzen gehalten hat“. Hier stapelte Milbradt tief. Tatsächlich hatte der Regierungschef drei Stunden zuvor, als er die 55 CDU-Abgeordneten über Details des Koalitionsvertrages informierte, einen schweren Stand. Massive Kritik kam vom Wirtschaftsflügel der Fraktion. Dessen Vertreter sehen im Verzicht auf das Wirtschaftsministerium zugunsten der SPD eine Aufgabe von eigenen Grundpositionen. „ Wir haben richtig Dresche bekommen“, so später ein Mitglied des CDU-Verhandlungsteams.

Noch brisanter war ein Angriff von Noch-Wissenschaftsminister Matthias Rößler, der sein Ressort ebenfalls an die SPD abgeben muss. Rößler kritisierte unverblümt, der Vertrag sei nicht das, „wofür die CDU steht“. Milbradt und Co. hielt er vor, beide Ministerien leichtfertig aus der Hand gegeben zu haben. Der Meißner CDU-Kreischef, der sich mit seiner Attacke endgültig aus dem neuen Kabinett herauskatapultiert haben dürfte, schürte zudem die Stimmung in Richtung Sonderparteitag, der am Wochenende das Koalitionspapier absegnen muss. Er forderte für diesen Termin eine Analyse des „katastrophalen CDU-Wahlergebnisses“ und setze damit Milbradt auch als Parteichef unter Druck.

Weitere Kritiker stehen für diese Gelegenheit längst bereit. So kursiert in der CDU ein Analysepapier, das vor einer „gefährlichen Friedhofsruhe“ und einem Sinkflug auf das 30-Prozent-Niveau warnt. Besonders der Parteinachwuchs um Abgeordnete wie Roland Wöller drängt auf eine Radikalkur. Per Antrag will man am Wochenende einen weiteren Sonderparteitag bis März 2005 durchsetzen, auf dem offenbar nicht nur Strukturen, sondern auch Personalien auf dem Prüfstand stehen sollen. Ein Affront gegen das aktuelle CDU-Management.

Das Kesseltreiben bei ihrem neuen Koalitionspartner kann allein die SPD mit Gelassenheit verfolgen. Zwar haben mit der gestrigen Verkündung auch hier Personalspekulationen eingesetzt. Allerdings gibt es dabei nur wenig Varianten. Thomas Jurk dürfte als Wirtschaftsminister ins Kabinett wechseln, während die Chemnitzer Sozialdezernentin Barbara Ludwig Wissenschaftsministerin wird. Auch wenn sich weiterhin hartnäckig das Gerücht hält, dass dieses Ressort vom ehemaligen SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel besetzt werden soll.

Und selbst das Szenario für einen eventuellen Ersatz für Minister Jurk als Fraktionschef steht. Da Nachfolge-Kandidaten wie Simone Raatz oder Karl Nolle keine Mehrheit in der 13-köpfigen Fraktion sicher ist, spricht nun vieles für Johannes Gerlach. Der von allen akzeptierte Zschopauer könnte den SPD-Fraktionsvorsitz vorerst auf zwei Jahre befristet übernehmen.
von Gunnar Saft