Karl Nolle, MdL

€uro – Wirtschaftsmagazin, 17.12.2004

Sachsenskandal um EU-Gelder weitet sich aus

Was wußte Ministerpräsident Georg Milbradt wirklich?
 
Der Verdacht der Veruntreuung von EU-Fördermitteln im Freistaat Sachsen weitet sich aus. Mittlerweile sind von der Innenrevision des Wirtschaftsministeriums wegen Gewährung „nicht EU-konformer Förderung" mehr Mitarbeiter befragt worden als bislang bekannt. Alle Hierarchieebenen - von Staatssekretär bis hin zum einfachen Sachbearbeiter - mussten sich Befragungen unterziehen. Viele Mitarbeiter auch in den unteren Ebenen des Wirtschaftsministeriums sollen gewusst haben, dass die Bewilligungen häufig nicht nach EU-Normen erteilt worden sind. Ein Ermittler sprach gegenüber €uro von „einer systematischen Ausplünderung insbesondere des Europäischen Sozialfonds". Aus allen Teilen Sachsens sollen Landräte und Biirgermeister im Wirtschaftsministerium vorstellig geworden sein, um für Firmen gleich unterschriebene Anträge auf EU-Fördermittel mit nach Hause zu nehmen - Prüfungen im Vorfeld sollen nicht stattgefunden haben.

Die Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft „INES" hat nach €uro-Informationen gegen Dutzende von Personen aus dein Wirtschaftsministerium und Verantwortliche aus verdächtigten Unternehmen mittlerweile Untersuchungen wegen des Verdachts der Untreue und des Subventionsbetrugs eingeleitet. Ermittelt wird wegen des Verdachts, dass sich die Firmen im Zusammenspiel mit Personen aus dem Wirtschaftsministerium zwischen 1991 und 2003 mindestens zweistellige Millionenbeträge rechtswidrig beschafft haben sollen. Gegen weit mehr Firmen als bislang bekannt laufen Ermittlungsverfahren wegen 'Un-. treue und Subventionsbetrug. Dies bestätigt die Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft „INES". Eine genaue Zahl nennt die Staatsanwaltschaft noch nicht. Bisher wurde nur gegen die Chipfabrik Zentrum für Mikroelektronik Dresden n (ZMD) und ihre Beschäftigungsgesellschaft Qualifizierung für Mikroelektronik und Fahrzeugbau (QMF) ermittelt.

Der Druck auf Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt steigt. Abgeordnete behaupten, er sei nicht nur Mitwisser, sondern soll die Beschaffung von illegalen Fördergeldern indirekt gefordert haben. Als Finanzminister (1990 bis 2002) soll er bei Anfragen nach Landesförderung für Industrie-Ansiedlung stets erklärt haben, erst einmal zu „sehen, ob nicht was mit EU-Fördermitteln geht". Milbradts Ressort soll zudem im Zuge einer Geldtranche an ZMD/QMF eine Patronatserklärung über vier Millionen Mark mitbewilligt haben. Insgesamt hätten die beiden Firmen 21 Millionen Euro erhalten, so die Ermittler. Die Staatskanzlei bestreitet jede Mitwisserschaft von Milbradt: „Der ehemalige Finanzminister Prof. Dr. Milbradt war weder an der Bewilligung von Fördergeldern an QMF beteiligt, noch war er zum Zeitpunkt der Bewilligung über diese informiert." Die Ausreichung der Mittel sei durch die Förderinstitute und nicht durch den Finanzminister erfolgt. Diese Frage sei auch Gegenstand der Aussage von Milbradt in der Sitzung des Untersuchungsausschusses am 26.August 2004 gewesen. Dennoch erklärt die Staatsanwaltschaft: „Das Finanzministerium ist einmal bei ZMD und QMF involviert gewesen."

Eine Vertraute von Milbradt, die neue Staatssekretärin in der Staatskanzlei Andrea, Fischer, hat kürzlich die Leiterin der Innenrevision des Wirtschaftsministeriums, Eichhorn, und mit ihr die Stelle selbst überraschend in die Staatskanzlei übernommen; beide als Leiterinnen der Untersuchung innerhalb des Ministerium bestens mit der Materie vertraut. Das Wirtschaftsministerium, das nach der Landtagswahl von der CDU an die SPD fiel, hat deshalb erhebliche Probleme mit der Aufarbeitung des Skandals. Fischer war von 2002 bis 2004 Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium und löste den Skandal im Mai 2004 durch eine Selbstanzeige des Ministeriums aus - Wochen, nachdem klar war, dass der Skandal nicht mehr unter der Decke zu halten war. STK