Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 22.12.2004

Die Wahrheit gibt es nur in Häppchen

Klärungsbedarf. Der umstrittene SEK-Einsatz in Dresden wird für Innenminister de Maizière zum politischen Problem.
 
Im Kabinett gab es gestern für Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nicht die komplette Rückendeckung. Zwar akzeptierten alle Ministerkollegen seine Darstellung, wonach der umstrittene Einsatz eines Elite-Polizeikommandos, bei dem am vergangenen Freitag in Dresden vier Unbeteiligte festgesetzt und zwei Hunde erschossen wurden, in dieser Form zwingend notwendig war. Der Innenminister verwies erneut auf abgehörte Telefongespräche und auf anonyme Hinweise, die einen schnellen Zugriff notwendig gemacht hätten.

In Erklärungsnot gerät er dagegen mit seinem folgenschweren Satz: „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“ Dieser zielte auf die von dem Einsatz betroffene Familie, zu der auch die Schwester der eigentlich gesuchten Rotlicht-Größe sowie deren Lebensgefährte – ein Dresdner Polizist – gehören.

Was de Maizière so nicht gemeint haben dürfte, was aber viele andere genau so verstanden: Die beiden sind selbst schuld, wenn sie gemeinsam mit einem gesuchten Verdächtigen unter einem Dach leben. In einem solchen Fall muss man halt damit rechnen, nächtens von einer Elite-Truppe der Polizei festgesetzt zu werden.

Regierungssprecher Christian Striefler wollte denn auch partout nicht sagen, ob sich Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hinter diesen heiklen Satz seines Innenministers gestellt hat. „Kein Kommentar“, lautete statt dessen die vielsagende Antwort. Vielleicht ist Sachsens Regierungschef ja auch deshalb so zurückhaltend, weil er erst drei Tage nach dem sensiblen Vorfall informiert worden war.

Pikante Details

Hinter den Polizei-Kulissen werden unterdessen eifrig Informationen gestreut, die den Einsatz auch in den Augen der Öffentlichkeit rechtfertigen sollen. So sei der Lebensstil des Polizisten recht ungewöhnlich, heißt es. Nicht nur, dass er bei Kollegen unbeliebt sein soll und pikanterweise noch in dem Revier seinen Dienst versieht, wo sein vorbestrafter De-facto-Schwager ein Bordell betreibt. Nein, er fahre auch einen großen Mercedes, der völlig unüblich für seine Gehaltsklasse sei.

Dass seine Freundin, die Schwester der Kiezgröße, ausgerechnet in der Poststelle des Innenministeriums arbeitet, gilt zudem als heikel. Obwohl das schon lange vor dem Zugriff auf die ungewöhnliche Wohngemeinschaft bekannt war, wird nun überlegt, die Ministeriumsangestellte mit einer anderen Aufgabe zu betrauen. Nicht zuletzt gibt es nun auch eine Erklärung dafür, warum sich nach dem Polizei-Einsatz an vielen Stellen im Haus Schussspuren fanden, obwohl die Hunde des Paares bereits im Flur abgeschossen wurden. Die Tiere, so heißt es nun, hätten sich blutend weitergeschleppt. Es musste nachgeladen werden.

So lange nicht alle Details der Affäre aufgeklärt sind, da sind sich Beobachter einig, wächst die Erklärungsnot der politisch Verantwortlichen im Dresdner Regierungsviertel. Und inzwischen mahlen auch die Mühlen der Justiz. Die Dresdner Staatsanwaltschaft bestätigte gestern, dass der Anwalt der Familie offiziell Strafanzeige gegen die für die Durchsuchung zuständige Staatsanwältin sowie gegen den Polizeiführer und seine Beamten eingereicht hat. Zurzeit werden die Personalien der beteiligten Elite-Polizisten zusammengetragen.
Von Gunnar Saft