Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 07.01.2005

Auf den Glatzen wachsen Haare

Verfassungsschutz-Präsident Stock: „Sachsen hat für NPD Modell-Charakter" - Rechtsextreme umwerben Jugend
 
Dresden. Die Wahlerfolge der NPD bei den Kommunal- und Landtagswahlen in Sachsen haben zu einer massiven Aufwertung der rechtsextremistischen Szene geführt. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes hat sich die Mitgliederzahl der NPD nach dem Einzug in den Landtag spürbar erholt. Sie war zuvor beständig rückläufig und unter die Grenze von 8oo gerutscht. Einher mit der quantitativen Steigerung gehe sowohl eine deutliche Erhöhung der Aktivitäten als auch eine unverhohlenere öffentliche Präsenz, berichtet Rainer Stock, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz. Unter dem Schutzmantel der NPD fühlten sich die rechtsextremistischen Kameradschaften legitimiert und motiviert. Der Bundesvorstand der Nationaldemokraten hat für Freie Kameradschaften" ein eigenes Referat eingerichtet, das mit Torsten Heise einer der bekanntesten militanten Neonazis leitet.

"Sachsen hat für die rechtsextremistische Szene den Charakter eines Modell-Landes angenommen", stellt Stock fest. Die strategische Ausrichtung erfolgte 1999, als Holger Apfel, Herausgeber der „Deutschen Stimme", den Sitz seines Verlages aus dem bayerischen Sinning nach Riesa verlagerte. Um den neuen Fraktionschef im Landtag scharten sich rhetorisch geschliffene Mitstreiter, die wie Jens Pühse ihr vernebeltes Geschichtsbild mit Sinn für Geschäft verbinden. Pühse gibt ein umfangreiches CD-Sortiment mit rechtsradikaler Musik heraus, das sich vor allem in der Skinheadszene großer Beliebtheit erfreut.

Mit der Bildung eines „nationalen Bündnisses" zur Kommunalwahl in Dresden und einem Bündnis mit der DVU für die Landtagswahl habe Sachsen den Vorreiter für andere Bundesländer gespielt. Ermutigt fühlen könnte sich die NPD, meint Stock, weil sie ihren Wahlkampf auf griffige, schlichte Parolen beschränkt habe, die soziale Reizthemen angesprochen haben. Die Auswirkungen ihres guten Abschneidens lesen die Verfassungsschützer auch am Aussehen der Aktivisten ab. Das Outfit sei ziviler geworden, auf den Glatzen wachsen wieder Haare. Die Gründe liegen auf der Hand. Die NPD hat erkannt, dass die Bürger mit Sturmtruppen-Aussehen verschreckt werden.

Für Sachsens Verfassungsschutz-Chef ist das aber kein Grund zur Entwarnung. An einer unveränderten Radikalität der Absichten zweifelt er nicht. Sorge bereiten ihm die enge Verknüpfung mit den Kameradschaften. Stock: „Ich fürchte, dass hier Einheiten aufgestellt werden, die nicht nur dem Saalschutz dienen sollen." Auch die Mitglieder der verbotenen Organisation Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) betätigten sich trotz gerichtlichen Verbots weiterhin rechtsextremistisch. Die Verfügung habe zwar präventiven Charakter gehabt und zu einem Rückgang der Gewaltbereitschaft geführt. Doch lasse die präventive Wirkung nach. Zudem verlagerten sich Aktivitäten ins nahe Tschechien. Mit den Behörden des Nachbarlandes stehen die sächsischen Verfassungsschützer in Kontakt, aber es fehlen, anders als bei der Zusammenarbeit mit der Polizei, zwischenstaatliche Absprachen.

Als Hauptziel ihrer Aktivitäten nennt Stock die Jugendarbeit der NPD. Der Verfassungsschutz-Präsident macht die Bemühungen an einigen Beispielen fest: Beim „Tag der Sachsen" in Döbeln verteilte die NPD an Schüler eine CD mit rechtsextremistischer Musik. Deren Aufdruck trug den Wahlkampf-Slogan: „Schnauze voll? Wahltag ist Zahltag". In der Sächsischen Schweiz, in Chemnitz und Freiberg haben die „Jungen Nationaldemokraten" drei Stützpunkte errichtet. Nach einer Initiative des Bundesvorstandes soll „nationales Gedankengut" in die Schulen getragen werden. Mit Veranstaltungen wie dem „Pressefest" der Deutschen Stimme" in Mücka sollen vor allem Jugendliche angesprochen werden.

„Aufklärung statt Abschreckung" lautet Stocks Empfehlung zum Umgang mit der NPD. Defizite in der Jugendarbeit müssten aufgearbeitet werden. In der Schule dürfe Rechtsextremismus nicht als abstraktes Phänomen, sondern mit seiner Symbolik und Terminologie verständlich gemacht werden. Wir sollten unsere Jugendlichen über unsere Freiheiten, über unsere Grundwerte verstärkt aufklären und sie damit auch ein Stück immun machen gegen rechte Verführer", meint Stock, um kritisch zu fragen, ob die Schule nicht überfordert seien, wenn im Elternhaus eine negative Vorprägung herrsche. Wichtig sei es, eine Streitkultur zu fördern, die nicht mit körperlicher Gewalt ausgetragen wird, sondern auf Argumente zielt.

Die NPD verstehe ihre Rolle in Sachsen als „Brückenkopf". Nicht auszuschließen sei es, dass sie demnächst auch in weiteren Landesparlamenten vertreten sei, meint Stock. In Sachsen haben die spektakulären Erfolge der Neonazis auch die linke Szene mobilisiert. Der Verfassungsschutz ist alarmiert. Denn die Linksautonomen hätten den antifaschistischen Kampf nach einer Phase der Abkehr wieder aufgenommen und sich vorwiegend der Gewalt verschrieben. So richten Stock und Mitarbeiter ihre Aufmerksamkeit auf den 13. Februar, wenn zum 6o. Jahrestag der Zerstörung Dresdens der Aufmarsch der Rechten auch Autonome mit Hang zu Randalen auf den Plan rufen dürfte.
Von Hubert Kemper