Karl Nolle, MdL

Agenturen ddp-lsc, 15:56 Uhr, 21.01.2005

Grenzen aufgezeigt - Wie der zuletzt viel gescholtene Landtag am Freitag mit den Provokationen der NPD umging

Von ddp-Korrespondent Tino Moritz
 
Dresden (ddp-lsc). Das erste Signal setzt Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU). Am Freitagmorgen fordert er gleich zu Beginn der Dresdner Landtagssitzung überraschend alle Abgeordneten auf, der Opfer des Nationalsozialismus mit einer Schweigeminute zu gedenken. Unter Verweis auf die anstehenden Gedenkfeierlichkeiten aus Anlass der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 und der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten am 13. Februar 1945 bittet er um dieses Zeichen - es geben alle, nur nicht die zwölf Abgeordneten der rechtsextremen NPD, die statt dessen den Plenarsaal verlassen.

So verstört und unsicher, wie Uwe Leichsenring danach am Mikrofon seinem Unmut Luft macht, hatte man den Parlamentarischen Geschäftsführer der NPD-Fraktion noch nicht erlebt. Die Rechtsextremen hatten ursprünglich eine Gedenkminute für die Opfer des 13. Februar 1945 beantragt, dabei aber nach Darstellung der Landtagsverwaltung formale Fehler gemacht. Iltgen drehte mit seiner Aktion den Spieß einfach um - und die NPD bleibt zum ersten Mal an diesem Freitag isoliert.

Knapp anderthalb Stunden später beginnt die Debatte, wegen der an diesem Tag die Zuschauertribüne dicht besetzt ist. Die NPD hatte sie unter dem vielsagenden Titel «Verhalten der Sächsischen Staatsregierung und des Landtages zu Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag der anglo-amerikanischen Terrorangriffe auf die sächsische Landeshauptstadt Dresden» angekündigt. Ihr Fraktionschef Holger Apfel nennt es gleich zu Beginn seiner Rede «jämmerlich» und «würdelos bis zum Erbrechen», dass für die Opfer des alliierten «Bombenterrors» im dicht gefüllten Terminkalender der «Sühnekultur in Deutschland» offensichtlich kein Platz mehr übrig bleibe. In Dresden habe es einen «kaltblütig geplanten industriellen Massenmord an der Zivilbevölkerung» gegeben.

Die anderen Fraktionen sind fassungslos, vor allem aus der PDS gibt es Zwischenrufe. Bis auf zwei Grünen-Abgeordnete verlässt indes noch keiner der Parlamentarier erkennbar den Sitzungssaal. Einmalig für Sachsen, was dann passiert: CDU, PDS, Grüne und FDP verzichten gemäß einer Absprache auf ihr Rederecht - auch die Staatsregierung wird das Wort in dieser Debatte nicht ergreifen.

Als einziger Vertreter der Demokraten geht der älteste von ihnen ans Rednerpult - der SPD-Fraktionschef und Alterspräsident des Landtags, Cornelius Weiss. Es wird still, sehr still im Parlament. Es falle ihm schwer, nach der «mit Schaum vor dem Mund und in Goebbelscher Manier vorgetragenen Rede des Herrn Apfel» zu sprechen. Weiss sagt, das Dresdner Inferno vom Februar 1945 dürfe niemals vergessen werden, aber auch nicht, wie es damals dazu gekommen sei. Der 71-Jährige erinnert etwa an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 und an das deutsche Flächenbombardement vom November 1940 auf die englische Stadt Coventry. An die Demokraten im Parlament richtet er den Appell, «mit aller Entschiedenheit jenen in den Arm zu fallen, die schon wieder nach der Brandfackel greifen».

Nach seiner siebenminütigen Rede erheben sich alle Abgeordneten von ihren Plätzen und klatschen lange Beifall - bis auf die NPD-Vertreter, die sitzen bleiben.

Einer von ihnen, Jürgen Gansel, 30 Jahre alt und nach Parteiangaben Historiker, tritt ans Mikrofon, wendet sich - so seine Bezeichnung - an die Vertreter der sächsischen «Blockpartei-Kartells» und sagt, dass moralische Betroffenheit keine historischen Fakten ersetze. Weiss sei ein «würdiger Vertreter dieser Umerziehungs- und Canossa-Republik». Währenddessen empfängt Weiss an seinem Platz parteiübergreifend Glückwünsche. Gansel droht indes: «Mit dem heutigen Tag haben wir auch in diesem Parlament den politischen Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrhaftigkeit aufgenommen.»

Ein Großteil der Abgeordneten hört das nicht mehr. Er hat aus Protest den Saal verlassen und verpasst somit auch Apfel, der noch einmal ans Pult tritt und die im Plenum verbliebenen Parlamentarier als «anständige Deutsche, die auch noch Deutsche sein wollen» bezeichnet. Iltgen nennt dies eine ungeheuerliche Unterstellung. Apfel spricht dann wie schon zuvor Gansel von einem

«Bomben-Holocaust» auf Dresden. Eine halbe Stunde nach Beginn der Debatte hat der Spuk ein Ende.

ddp/tmo/kfr
211556 Jan 05