Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 22.01.2005

Rechte Seite frei gemacht

Ex-Justizminister Steffen Heitmann über das Vordringen der NPD in Sachsen
 
Dresden. Wenn er seine Stimme erhebt, findet er dafür passende Podien. Als Präsident der Kulturstiftung des Freistaates oder als Mitherausgeber der christlichen Wochenzeitung „Rheinischer Merkur". Im Sächsischen Landtag haben Redebeiträge von Steffen Heitmann Seltenheitswert. Abgehoben vom Alltag in der aufgewühlten Szene, die er als Justizminister zehn Jahre mitbestimmt hat, wirkt der Mann mit dem silbergrauen Haar, der sanften Stimme und dem spöttisch-schelmischen Mienenspiel nur auf den ersten Blick. „Der Landtag war bisher ein geschützter Biotop", korrigiert Heitmann falsche Schlussfolgerungen. „Jetzt sind wir der Wirklichkeit in unserer Gesellschaft viel näher gerückt"

Konservative seines Zuschnitts sind selten geworden in der Politik. Vielleicht ein Grund, dass Heftmann angesichts einer ausgedünnten Politik-Elite des Landes zunehmend Gehör findet. Die Vereinbarung der Fraktionsvorsitzenden im Landtag zum Umgang mit der NPD stieß auf seinen Protest. Die PDS auf eine Stufe mit den anderen demokratischen Parteien zu stellen, widerstrebt seiner eigenen Vergangenheit in der DDR und seinem Verständnis von Abgrenzung gegenüber Rechts- und Linksaußen. Man dürfe nicht auf einem Auge blind sein, fordert Heitmann. Für das Vordringen der NPD hat er eine einfache Erklärung: Sie ist die Folge, dass das Gesamtspektrum unserer Gesellschaft nach links gerückt ist." Damit sei die rechte Seite frei für die Extremisten geworden.

Als einen Fehler der CDU bezeichnet es Heitmann, die konservativen Intellektuellen als eine Stimme im breiten Spektrum einer Volkspartei zu marginalisieren". Anspruchsvoll und emotional müssten Themen wie Nachhaltigkeit, Lebensschutz, die historische Aufarbeitung des Luftkrieges vor dem Hintergrund des 13 . Februar mit dem 6o. Jahrestag der Zerstörung Dresdens, aber auch die Frage des EU-Beitritts der Türkei behandelt werden. Die Angst vor konservativen Themen lässt es zu", beklagt der Kirchenjurist, „dass andere diese Felder besetzen". Sein Wahlkreis in Dresden, bürgerlich-wohlhabend geprägt, zeige auf, wohin CDU Wähler in Scharen abgewandert sind: zu den Grünen. Dort sieht er einen Teil der modernen Konservativen angesiedelt.

Die Mitstreiter aus der Biedenkopf-Riege der Nachwende-Jahre haben die Bühne längst verlassen. So ist Heitmann ein wenig in die Rolle eines erfahrenen Staatsmannes gerückt, der bei der Suche nach Orientierung Licht spenden könnte. ,Völlig überzogen" sei die Reaktion auf die NPD-Stimmen bei der Wahl zum Landesjugendhilfeausschuss. Die Medien hätten den Fall skandalisiert, meint der Ex-Minister. Man solle den Rechtsextremisten die Ämter geben, die ihnen durch Gesetz oder Geschäftsordnung zustehen. „Die hektische, konfuse Reaktion muss überwunden werden", rät Heitmann zu „politisch-qualifizierter Sacharbeit" und dazu, den Neonazis möglichst einen Schritt voraus zu sein. Nichts hält er von Auf rufen, denen identifzierten NPD Unterstützern den Fraktionsausschluss androhen. „Das erinnert mich fatal an die DDR, wo wir uns auch immer zum Guten und Richtigen öffentlich bekennen sollten." Wer so feige und verantwortungslos sei, seine Stimme heimlich der NPD zu geben, werde nie zu ermitteln sein.

Die sächsische Politikwelt werde nach der Landtagswahl am r9. September wirklichkeitsgetreuer abgebildet, meint Heitmann. Skeptisch fällt die Antwort auf die Frage aus, wie die Parteien der Mitte mit dieser Herausforderung umgehen. Das Defizit an qualifiziertem Nachwuchs sei auch eine Folge des Anpassungsprozesses an den westlichen Politikstil seit r99o. „45 Jahre Nachkriegsdeutschland haben dort wenig profilierte Persönlichkeiten hervorgebracht, weil es wenige elementare Herausforderungen gab." Als Justizminister hatte er sich beklagt, dass dem Osten das westdeutsche Rechtssystem eins zu eins übergestülpt wurde. Nun kritisiert er, dass Seiteneinsteiger mit DDR-Vergangenheit herausgedrängt würden. „Mit Matthias Rößler und Horst Rasch sind die letzten Revolutionäre aus der Regierung ausgeschieden."

Als Kritik an Georg Milbradt will Heitmann diesen Hinweis nicht bewertet wissen. So wie er dessen Aufstieg zum Ministerpräsidenten unterstützt hat, attestiert er ihm den „Blick über die Legislaturperiode hinaus". Man habe gewusst, dass Milbradt nicht die Ausstrahlung eines Landesvaters habe. Vor allem sieht er keine Alternative zu ihm. Seiner Fraktion rät der 6o-Jährige, sich vom Trauma zu befreien und zu einem „neuen, konstruktiven Vertrauensverhältnis" zu finden. Wie schwer das ist, weiß Heitmann aus eigener leidvoller Erfahrung.
von Hubert Kemper