Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 26.01.2005
Die braune Denkfabrik
Die NPD brauchte keine 100 Tage, um im Landtag ihr wahres Gesicht zu zeigen: das einer rechtsextremen Kadertruppe.
Das Zimmer ist nüchtern möbiliert. Nur das Bild an der Wand verrät etwas Persönliches: Es ist „Der letzte Mann“ – ein Matrose in düster-stürmischer See ist da zu sehen, ein Schiff und die Flagge der deutschen Kriegsmarine aus der Zeit des Kaiserreiches. Daneben hängt so etwas wie eine Landkarte. Deutschland ist darauf zu sehen – nur erheblich größer als die Bundesrepublik.
Das spartanische Interieur trübt die Laune des Mannes nicht, der hier in der zweiten Etage des Sächsischen Landtages sitzt. Holger Apfel, seit 19. Oktober 2004 NPD-Fraktionsvorsitzender, strotzt vor Selbstbewusstsein. „Erstaunlich gut“ seien die ersten 100 Tage vergangen, sagt er. Man sei überall Gesprächsthema. Wie über seine Fraktion geredet wird, scheint ihn nicht zu stören. Ins „Klischee der etablierten Parteien“ wolle er sowieso nicht passen. Der untersetzte 34-Jährige strapaziert den Spruch von der deutschen Eiche, die es nicht stört, wenn sich eine Sau an ihr reibt. Seine Fraktion leiste doch „ausgezeichnete Sacharbeit“.
Das sehen andere Fraktionen freilich anders. Vom „widerwärtigen Aufstieg der braunen Brut“ spricht SPD-Mann Karl Nolle. Er sieht einen „dunklen Schatten“ über dem Land. Apfel und Co. versuchten, „die Arbeit des Landtages gezielt zu unterwandern und die Geschäftsabläufe zu stören“, erklärt auch André Hahn, PDS-Fraktionsgeschäftsführer. Sacharbeit sei kaum zu spüren.
Gezielte Provokationen
Dafür haben es die Rechtsextremisten in den ersten Wochen nach der Wahl verstanden, die Parlamentsgeschäftsordnung weidlich zur Selbstdarstellung zu nutzen. Mit einem halben Dutzend Dringlicher Anträge und der Forderung nach zwei Untersuchungsausschüssen setzten bestimmten sie die Tagesordnungen der meisten Plenarsitzungen und sicherten sich die Aufmerksamkeit der Medien. Ein Höhepunkt des Treibens war der Antrag, alle Haushaltsmittel des Freistaates für den Kampf gegen den Rechtsextremismus umzuleiten und mit dem Geld die Opfer der Flutkatastrophe in Südostasien zu unterstützen. Schon vorher hatte die NPD die Wahl der Ausländerbeauftragten zur gezielten Provokation genutzt und einen Gegenkandidat als „Rückführungsbeauftragten“ aufgestellt.
Insbesondere die CDU/SPD-Regierungskoalition tut sich mit all dem schwer. Auf Grund von Befindlichkeiten in der Union wäre deshalb der Vorsitz im Landtagsausschuss für Verfassung, Recht und Europaangelegenheiten beinahe an die NPD gegangen. „Nicht auszudenken, wenn die Braunen in dem Ausschuss den Ton angegeben hätten und internationale Gäste im Landtag begrüßen dürften“, sagt ein Abgeordneter. Ihm reiche es schon, wenn er „den Leuten“ auf dem Flur begegne. Da seien die „so was von freundlich“, und dann kämen solche Provokationen wie am vergangenen Freitag. „Die Herrschaften geben den Biedermann und sind eben doch Brandstifter.“ .
Auch außerhalb des Plenums leisten Apfel und Co. ein beträchtliches Pensum. Als Biedermänner nutzen sie alle sich bietenden Kontakte zu Besuchergruppen im Landtages. Als Brandstifter agieren sie draußen. Fraktionschef Apfel zum Beispiel als Schirmherr des angekündigten Neonazi-Aufmarsches zum 13. Februar in Dresden. Oder sie missionieren auf dem Lande, wie Hinterbänkler Klaus-Jürgen Menzel. Als Gastredner taucht der Landtagsabgeordnete zum Beispiel im ostsächsischen Mücka auf. Am Telefon nennt er die Skinhead-Konzerte in der dortigen Diskothek Wodan „Wahlkreisveranstaltungen“ mit „musikalischer Untermalung“. Der Vorwand „Singen und tanzen für Deutschland“ ist indes eher Tarnung als Motto. Im November 2004 schwor Menzel junge Leute in Pirna auf die NPD ein. Dabei sagte er Sätze wie: „Und wie hat der Führer gesagt: ,Ein Karat härter als der Feind, das bringt den Sieg.’“ In der Rede, auf die die Bündnisgrünen jetzt aufmerksam machten, erklärte Menzel auch sein Deutschland-Bild: „Unser Land geht von den blauen Bergen der Vogesen bis zu der Mühle von Tauroggen, von der Königsau in Nordschleswig bis nach Brixen in Südtirol – und keinen Quadratmeter weniger!“ So lange diese Grenzen in der Nationalhymne stünden, bleibe er dabei, sagt Menzel. Dass er in Pirna Bezug auf Adolf Hitler genommen habe, bestreitet er. Der SZ liegt jedoch ein Mitschnitt der Rede vor.
Lauter langgediente Kader
Was die letzten Wochen gezeigt haben, bringt Karl-Heinz Gerstenberg auf den Punkt: „Diese Leute sind unvergleichlich ernster zu nehmen als die DVU vor Jahren in Sachsen-Anhalt.“ Der parlamentarische Geschäftsführer der Bündnisgrünen glaubt, dass noch nicht alle Fraktionen für die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen fit sind. „Auf ekelhafte Weise intelligent“ sei die NPD, sagt SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss.
„Ritterschläge“ nennt Holger Apfel solche Kritik, nicht ohne auf seine Knappen zu verweisen. „Langgediente, in der politischen Arbeit erfahrene Kader“ stünden den Abgeordneten als Mitarbeiter zur Seite. Karl Richter heißt einer dieser Knappen. Er spricht von der „rechten Denkfabrik“ im Dresdner Landtag. Der Bayer, vom Amtsgericht Coburg wegen Volksverhetzung verurteilt, ist Publizist und neben dem Abgeordneten Jürgen Gansel einer der „Historiker“ der Fraktion. In dem aktuellen Kinofilm „Der Untergang“ über die letzten Tage Adolf Hitlers verewigte sich Richter als Komparse selbst auf Zelluloid – in der Rolle des Adjutanten von Generalfeldmarschall Keitel. „Heute Sachsen. Morgen Deutschland“ jubelte er als Kolumnist nach der Wahl im NPD-Blatt „Deutsche Stimme“.
Gefährliche Experimente
Die Telefonliste der Fraktion liest sich wie ein „Wer ist wer?“ rechter Kader, vorwiegend aus den alten Bundesländern. Mit Peter Marx aus dem Saarland und Ullrich Eigenfeld aus Niedersachsen leisten gleich zwei NPD-Landesvorsitzende Aufbauarbeit in Sachsen. Mit Sascha Roßmüller und Stefan Rochow haben zwei langjährige Führungskader aus der NPD-Nachwuchsorganisation JN als „wissenschaftliche Mitarbeiter“ Lohn und Brot gefunden. Mit Per Lennart Aae reaktivierte die NPD ihren zeitweise in Ungnade gefallenen Wirtschaftsfachmann. Der gebürtige Schwede war zuvor in Bayern, organisierte dort Veranstaltungen des so genannten nationalen Widerstandes und überwarf sich später mit dem NPD-Anwalt Horst Mahler. Aae musste sich gegen Spitzelvorwürfe verteidigen und wurde aus dem NPD-Vorstand geworfen. Nun ist er wieder gefragt.
Zur Bürgerbeauftragten machten die Fraktionsoberen die frühere sächsische Landesvorsitzende der Republikaner, Kerstin Lorenz. Vor den Landtagswahlen hatte sie gegen den Willen des Rep-Bundesvorstandes die Wahlunterlagen ihrer Partei zurückgezogen und so den Weg frei gemacht, damit die NPD „konkurrenzlos“ antreten konnte. Mit Franz Schönhuber beriefen die Rechtsextremisten im Landtag auch den Gründer der ins Trudeln geratenen Republikaner quasi zu ihrem Berater.
Sachsen ist zum gefährlichen Experimentierfeld der NPD geworden. Anfang Januar demonstrierten Apfel und Co., was sie vor Augen haben. Nach der Schlacht am kalten Buffet anlässlich ihres Neujahrsempfanges machten sie den Plenarsaal kurzerhand zur „national befreiten Zone“ und nahmen auf den Regierungsbänken Platz. „So, wie wir heute sitzen, so wollen wir auch in fünf Jahren sitzen“, zitierte die MDR-Sendung „Fakt“ den NPD-Mann Uwe Leichsenring.
Von Thomas Schade