Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 04.02.2005

"Der NPD die Mikrofone abschalten"

Grünen-Fraktionschefin spricht sich für ein Verbotsverfahren und eine Reform des Versammlungsrechts aus
 
DIE WELT: Frau Göring-Eckardt, was halten Sie von einem neuen Verbotsverfahren gegen die NPD?

Katrin Göring-Eckardt: Ich bin sehr dafür, daß man sorgfältig prüft, ob ein Verbotsverfahren erfolgversprechend angestrengt werden kann. Wenn man die NPD tatsächlich verbieten kann, dann sollte man das auch tun. Ich halte allerdings eine verstärkte politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen für noch wichtiger als eine Klage in Karlsruhe.

DIE WELT: Soll Volksverhetzung in Parlamenten eine Straftat sein? Die Union hat einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt.

Göring-Eckardt: Man muß in den Parlamenten mit allen Mitteln gegen solche Auftritte wie den der NPD in Dresden vorgehen, bis zum Abschalten der Mikrofone. Wir sollten uns von den Rechtsradikalen aber nicht die Freiheit nehmen lassen, die wir uns als Demokraten erkämpft haben. Man muß die Regelungen in den Geschäftsordnungen der Landtage für solche Fälle ausschöpfen und vielleicht auch im Einzelfall verschärfen. Die Freiheit der Rede des Abgeordneten sollte grundsätzlich aber nicht beschränkt werden. Das wäre ein völlig falsches Signal.

DIE WELT: Bundesinnenminister Otto Schily will das Versammlungsrecht durch ein Demo-Verbot vor Gedenkstätten verschärfen. Wie weit gehen die Grünen da mit?

Göring-Eckardt: Der Gesetzentwurf des Innenministeriums sieht vor, Neonazi-Aufmärsche zu verbieten, wenn erkennbar ist, daß die NS-Gewaltherrschaft verherrlicht oder verharmlost wird. Außerdem sollen an bestimmten herausragenden Orten der Erinnerung Demonstrationen nicht zugelassen werden, die dazu bestimmt sind, die Leiden der Opfer zu billigen oder zu verharmlosen. Ich bin absolut für eine solche Präzisierung des Versammlungsrechts. Wie sollten wir unseren jüdischen Mitbürgern erklären, daß wir an Orten der Erinnerung gegen die Greuel des Nationalsozialismus wie dem Holocaust-Mahnmal nicht mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen rechtsextreme Provokationen vorgehen?

DIE WELT: Rechtsextremismus ist vor allem in den neuen Ländern ein großes Problem. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) warnt vor zunehmenden Aktivitäten der rechtsradikalen Szene. Was muß geschehen?

Göring-Eckardt: Ich würde das nicht auf die neuen Länder begrenzen. Rechtsradikales und neofaschistisches Gedankengut findet auch im Westen zunehmend Resonanz. Allerdings hat es die NPD in Sachsen bereits mit großem Aufwand geschafft, in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Das halte ich für hochgefährlich. Es muß jetzt darum gehen, von den Schulen über gesellschaftliche Gruppen bis in die Unternehmen hinein sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen deutlich zu machen, warum Demokratie etwas Erstrebenswertes ist. Wir müssen Möglichkeiten aufzeigen, wie man sich selbst in die Gesellschaft einbringen kann. Die Sehnsucht nach Demokratie und nach Freiheit, die es in Ostdeutschland 1989 gegeben hat, muß neu geweckt werden.

DIE WELT: Müssen die Lehrpläne der Schulen geändert werden?

Göring-Eckardt: Kinder und Jugendliche müssen an den Schulen wieder demokratische Grundregeln einüben. Ihnen muß vermittelt werden, daß sich Mitbestimmung - angefangen bei der Schülervertretung - lohnt. Natürlich geht es aber auch um die Lehrpläne. Das Thema Nationalsozialismus wird heute offenkundig nicht mehr mit der notwendigen Tiefe behandelt. 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs müssen wir über ganz neue Ansätze und Methoden bei der Erinnerungsarbeit nachdenken. Immer weniger Lehrer kennen heute noch direkte Zeitzeugen des Holocaust.

DIE WELT: Gerade in Sachsen sind die Rechtsradikalen schon sehr stark in der Jugendkultur verankert. Wie kann man diese Strukturen aufbrechen?

Göring-Eckardt: Wir brauchen starke, flächendeckende Jugend- und Sozialprojekte. Aber wir müssen den Jugendlichen auch soziale Aufstiegsmöglichkeiten aufzeigen. Wir müssen ihnen vermitteln, daß Freiheit und Demokratie wichtige Werte sind, die im Gegensatz zur DDR-Diktatur und viel stärker noch zum Nationalsozialismus stehen. Die Jugendlichen müssen lernen, daß es auch in schwierigen Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit ein ganz hohes Gut ist, selbst über ihr Leben bestimmen zu können.

DIE WELT: Müssen die finanziellen Mittel für Jugendprojekte gegen rechts aufgestockt werden?

Göring-Eckardt: Ja, Bund und Länder sind gemeinsam in der Pflicht. Wenn solche Mittel gekürzt werden, ist das ein fatales Zeichen. Auch weil rechtsextremen Gruppen dadurch Plätze und Einrichtungen überlassen werden.

DIE WELT: Die Propaganda der NPD hat eine neue Qualität erreicht. Wie sieht die Antwort darauf aus?

Göring-Eckardt: Die NPD-Redner sind geschliffener geworden, sie wissen sehr genau, was bei ihren Provokationen rechtlich möglich ist und was nicht. Alle demokratischen Gruppierungen in unserem Land sollten daher immer wieder deutlich machen, daß wir uns Demokratie und Freiheit nicht wegnehmen lassen. Wir sollten als Bürger mit allem, was wir haben, auf die Straße gehen. Bei der geplanten NPD-Demo am 8. Mai stelle ich mir zum Beispiel eine parteiübergreifende Gegendemonstration vor.

DIE WELT: Sie setzen sich dafür ein, daß die demokratischen Parteien in Landtagen und Kommunalparlamenten geschlossen gegen Rechtsextreme vorgehen. Welche Rolle spielt dabei die PDS?

Göring-Eckardt: Die PDS ist in einigen ostdeutschen Ländern sogar an der Regierung beteiligt. Ob es zu einer fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus kommt, hängt von CDU und PDS ab, die Berührungsängste miteinander haben. Ich appelliere auch an die Union, über ihren Schatten zu springen. Wenn alte Ressentiments gegen die PDS, die ich aus meiner eigenen Geschichte heraus gut nachvollziehen kann, wichtiger sind als die Bekämpfung der Rechtsextremen, kommen wir nicht weiter.

Das Interview führte Carsten Fiedler