Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 04.02.2005

Kollektives Schweigen

Täuschten die Olympiakoalitionäre Milbradt und Schily die Öffentlichkeit?
 
LEIPZIG, 3. Februar. "Ich sehe das so", orakelte seinerzeit Bundesinnenminister Otto Schily, "weitgehend konzentriert sich das auf Herrn Thärichen." Neue Erkenntnisse gebe es, möglicherweise "strafrechtlichen Charakters". Damals, am 19. November 2003, hatten Prüfer des Freistaates Sachsen Schily und den anderen Aufsichtsräten der Leipzig 2012 GmbH erste Details zum seltsamen Geschäftsgebaren jener Gesellschaften vorgelegt, die Olympia nach Sachsen holen sollten. Vor allem um ein obskures Schriftstück ging es, aufgesetzt von GmbH-Geschäftsführer Dirk Thärichen: 15 Prozent Provision von einer Million Euro, die Leipzig für die Bewerbung zahlte, waren für die Firma Sport Consulting International (SCI), Thärichens früheren Arbeitgeber, abgezweigt worden. Leipzigs Olympiabeauftragter Burkhard Jung hatte das per Unterschrift sanktioniert. Als die Angelegenheit publik wurde, war der Aufschrei groß und fortan viel von "schonungsloser Aufklärung" die Rede.

Vor allem Aufsichtsrat Schily verordnete damals der Ringe-Mission, die ein halbes Jahr später beim IOC blamabel in der Vorrunde durchfallen sollte, "neuen Schwung" und präsentierte Thärichen als Sündenbock. Niemand widersprach. Leipzigs Staatsanwaltschaft leitete gegen Thärichen Untreue-Ermittlungen ein. Vierzehn Monate schleppen die sich nun hin, und was da ermittelt wird, bleibt rätselhaft. "Wir bereiten die Abschlussentscheidung vor", mauert Oberstaatsanwalt Lutz Lehmann. Dabei gilt als sicher: Das Verfahren wird eingestellt.

"Persönlich - vertraulich"

Es existiert ein Schreiben, aus dem hervorgeht, wo der Skandalverursacher zu suchen war: im Leipziger Rathaus. Weil das Schriftstück schon vom 2. November 2003 datiert, also vor den Presseveröffentlichungen zur SCI-Affäre, und über den Sachverhalt aufklärt, ist es politisch von einiger Brisanz. Denn das Fax stammt von Leipzigs OB Wolfgang Tiefensee - es ging ("persönlich - vertraulich") an Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt und "in gleicher Weise" an Schily.

Der OB informierte, Leipzig stehe mit rund 150 000 Euro bei der SCI in der Kreide. Sein Adlatus Jung habe das von der Firma veranstaltete Frauen-Tennisturnier 2001 "für die damalige innerdeutsche Olympiabewerbung" genutzt. Nur 59 000 Euro seien beglichen, "die erbrachten Leistungen" entsprachen jedoch "einem Wert von gut 204 000 Euro". Nun müsse geprüft werden, so Tiefensee, ob die Olympia-GmbH Zahlungen veranlasste, "die auf keiner vertraglichen Grundlage beruhten". Zwei Tage später war das klar, wohl auch Schily und Milbradt, den Empfängern des Faxes. Die Buchprüfer präsentierten das von Thärichen verfasste und von Jung unterzeichnete Papier mit der SCI-Provision für "erbrachte Leistungen" - über jenen offenen Betrag von exakt 150 000 Euro.

Jung entrüstete sich öffentlich, er sei von Thärichen gelinkt worden. Was er Tiefensee intern gebeichtet hatte, leugnete er an Eides statt: "Keinerlei Verbindungen" habe er sehen können zwischen der Provision und "anderen Geschäftsvorgängen, insbesondere dem Damen Tennis Grand Prix 2001". Für seine Unterschrift führte Jung edle Motive an: Die SCI sollte Sponsoren werben, um die städtischen Zuschüsse für Olympia zu senken. Den Posten als Olympia-Aufsichtsrat verlor er zwar, als Sozialdezernent kehrte er aber nach kurzer Zwangspause zurück - trotz der falschen eidesstattlichen Versicherung "zur Vorlage an den Dienstherrn" Tiefensee. Im April 2004 räumte Jung bei der Staatsanwaltschaft ein, dass er selbst den Provisionsdeal angeregt hatte: Der Sponsorenvertrag der SCI biete doch "genügend Möglichkeiten, Geld zu verdienen". Er will nicht gewusst haben, dass ein Teil der Million aus Haushaltsmitteln kam.

Hätten die Olympia-Aufsichtsräte Schily und Milbradt im November 2003 ihre Kenntnisse über den Hintergrund der Provision kundgetan, wäre dies das doppelte Aus gewesen: Für die Bewerbung und für deren Frontmann Tiefensee. Dass Milbradt nicht öffentlich vorpreschte, könnte ein politischer Deal gewesen sein: Ein Posten gegen die Wahrheit. Jedenfalls, nur 24 Stunden nach seinem schriftlichen Offenbarungseid gegenüber Milbradt und Schily in der SCI-Affäre, erklärte Tiefensee seinen Verzicht auf eine Kandidatur als Ministerpräsident.

Alter Beamtentrick

Milbradts Schweigen für Tiefensees Verzicht? "Nichts wird unter den Teppich gekehrt", versprach Milbradt seinerzeit. Tiefensee beteuerte, die Geschäfte zwischen Rathaus und SCI seien total "korrekt gelaufen". Thärichen trage die Hauptverantwortung, behauptete Schily. Ganz am Rande entschlüpfte dem Sportminister noch dieser Satz: "Wir können doch nicht eine Bewerbung einreichen, ohne dass der Oberbürgermeister fungiert."

Um Tiefensee zu halten, bedienten sich die rot-schwarzen Olympiakoalitionäre auch eines alten Beamtentricks: Das Schreiben, in dem Tiefensee die Stadt Leipzig als möglichen Verursacher der Provision belastet, ging erst am 28. November 2003 an die Staatsanwaltschaft - einen Tag nach Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Thärichen.
von Grit Hartmann