Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 04.02.2005

Banale Fragen

... eine richtig hübsche eidesstattliche Versicherung, die alle juristischen Formalien erfüllte...
 
Es ist ja in diesem Lande, einem Rechtsstaat, keiner Bananenrepublik, gerade sehr in Mode, über den Wert von eidesstattlichen Versicherungen zu philosophieren. Um die Debatte zu bereichern und den Blick in andere Abgründe des Sportbusiness zu weiten, sei ein Vorgang erwähnt, der sich in der gewesenen Olympiabewerberstadt Leipzig abgespielt hat. Dort erklärte der ehemalige Olympiabeauftragte Burkhard Jung im November 2003, als er wegen Provisionszahlungen auf öffentliche Mittel schwer in die Kritik geraten war, dieses und jenes zu seiner Verteidigung (siehe Text auf Seite 15) - an Eides statt natürlich, ganz offiziell im Rechtsamt der Stadt Leipzig, gegenüber der Amtsleiterin Boysen-Tilly. Es handelte sich mithin um eine richtig hübsche eidesstattliche Versicherung, die alle juristischen Formalien erfüllte.

Dass Jung wenige Monate später bei seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft dieses und jenes anders darlegte, fiel schon gar nicht mehr auf. Oder vielmehr: Es sollte nicht auffallen. Denn Leipzig befand sich ja noch im Wettbewerb um die Sommerspiele 2012, wenngleich chancenlos. Da waren patriotische Jubelmeldungen gefragt, keine banalen Fragen danach, wer wann was gesagt und wer wann was getan hat im Mikrokosmos der Olympia GmbH. Ein nun erstmals veröffentlichtes Fax von Jungs ehemaligem Olympia-Aufsichtsratskollegen Wolfgang Tiefensee an die Aufsichtsräte Otto Schily und Georg Milbradt wirft jedenfalls brisante Fragen auf: Warum haben Bundesinnenminister Schily und Sachsens Ministerpräsident Milbradt, die im heißen Herbst 2003 doch rigorose Aufklärung versprochen hatten, nicht rigoros reagiert? Mit Taten, nicht bloß mit dem Mundwerk?

Dem unter Druck geratenen Tiefensee mag man gewisse Nachlässigkeiten konzessionieren. Er ist Cellospieler, kein Jurist. Der Volkswirt Milbradt dagegen, der in seiner Jugend ein wenig Jura studiert hat, und erst der Rechtsanwalt Schily, die hätten genauer hinsehen können, ja sogar müssen. Sie waren beizeiten informiert über brisante Details. In der Öffentlichkeit aber erweckten sie wie Tiefensee gern den Eindruck, als sei ihnen alles neu.
Jens Weinreich