Karl Nolle, MdL
world sozialist website, 26.01.2005
Was steckt hinter den rechtsradikalen Provokationen im sächsischen Landtag?
Von Ulrich Rippert
Die Empörung war groß, als die Abgeordneten der neofaschistischen NPD am vergangenen Freitag während einer Schweigeminute für die Opfer von Krieg und NS-Herrschaft demonstrativ aus dem Plenarsaal des sächsischen Landtags auszogen. In späteren Redebeiträgen setzten sie die Vernichtung der Juden durch das Nazi-Regime und die alliierten Bombenangriffe auf deutsche Städte gleich und prägten das Wort vom "Bombenholocaust".
In einer Flut von Medienkommentaren wurde seitdem ein schärferes Vorgehen gegen die Rechtspartei gefordert und der Schulterschluss aller Demokraten angemahnt. Einige Politiker forderten erneut ein Verbot der NPD, andere warnten davor. Denn vor drei Jahren war ein Verbotsantrag schon einmal gescheitert, weil sieben Vorstandsmitglieder der NPD für den Verfassungsschutz arbeiteten und die Partei nachweisen konnte, dass mehrere in der Klageschrift zitierte Passagen aus der Feder von Geheimdienstagenten stammten.
Bundeskanzler Schröder (SPD) warnte vor einem Imageschaden im Ausland, den sich ein exportorientiertes Land wie die Bundesrepublik nicht leisten könne, Außenminister Fischer (Grüne) sprach von einer "Schande für Deutschland", und Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, forderte zum wiederholten Male einen "Aufstand der Anständigen".
Niemand in den etablierten Medien und der Politik beschäftigte sich mit der Frage, in welchem Zusammenhang die dumm-dreisten Provokationen der Neonazis gesehen werden müssen, oder fragte: Wer trägt die Verantwortung für das Erstarken der rechtsradikalen Partei? Stattdessen beunruhigt die Kommentatoren vor allem die Tatsache, dass die Dresdener Ereignisse ein Schlaglicht auf die Fäulnis des politischen Systems werfen, und sie wollen den Vorhang der Verschwiegenheit schnellstens wieder zuziehen - um, wie der Kanzler sagt, "Imageschäden" zu vermeiden.
Doch die Tatsache bleibt: Seit den letzten Landtagswahlen im September vergangenen Jahres sitzen zwölf Neofaschisten der NPD im sächsischen Landtag und treten von Tag zu Tag aggressiver auf. Ihre wachsende Angriffslust speist sich aus mehreren Quellen. Zum einen hoffen sie darauf, dass die unsoziale Politik der rot-grünen Bundesregierung und der CDU-SPD-Koalition auf Landesebene, die von allen Parteien unterstützt und mitgetragen wird, die Zahl rechter Protestwähler erhöhen wird. Zum anderen erhalten sie Unterstützung aus den rechten Kreisen der anderen Parteien. In den vergangenen Monaten haben mehrmals zwei Abgeordnete bei geheimen Parlamentsabstimmungen mit der NPD gestimmt.
Soziale Demagogie
Die Hartz IV-Gesetze, die Anfang Januar in Kraft traten, werden von den Rechten systematisch für ihre soziale Demagogie benutzt. Für viele Menschen haben sich durch Hartz IV die Lebensbedingungen dramatisch verschlechtert. Dazu kommt noch, dass alle Hoffnungen auf Besserung zunichte gemacht wurden. Bisher haben Politiker - vor allem im Osten - immer wieder betont, die sozialen Schwierigkeiten seien vorübergehend, der "Aufbau Ost" dauere etwas länger, man müsse Geduld haben. Folglich haben viele Arbeiter eine Umschulung und Weiterqualifizierung nach der anderen absolviert, in der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz.
Hartz IV macht deutlich, dass der "Aufschwung Ost" nie ernst gemeint war. In Wirklichkeit handelt es sich um den Abschwung West. Die hohe Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhne im Osten werden eingesetzt, um das Sozialgefüge im Westen zu sprengen und die Löhne abzubauen. Viele Menschen im Osten fühlen sich nach Strich und Faden belogen und betrogen.
Unter Bedingungen wo nicht eine einzige im Parlament vertretene Partei gegen die Sozialkürzungen auftritt, sondern alle unisono behaupten, es gäbe zu dieser Politik des sozialen Kahlschlags keine Alternative, können sich rechte Demagogen als "Retter des kleinen Mannes" aufspielen und die wachsende Wut und Verzweiflung vieler Menschen auf ihr Stimmenkonto lenken.
Die PDS, die in Sachsen als zweitstärkste Partei im Parlament sitzt, bildet im Kartell der Sozialbankrotteure nur in sofern eine Ausnahme, als sie der allgemeine Verlogenheit noch eine weitere hinzufügt. Sie protestiert nach außen hin gegen Hartz IV, während sie gleichzeitig überall dort, wo sie politischen Einfluss hat, die Kürzungen in vollem Umfang unterstützt und mitträgt.
Auch die Tatsache, dass im sich vergangenen Jahr auf unzähligen Demonstrationen und Protestkundgebungen Millionen gegen die Hartz-Gesetze ausgesprochen haben, aber Kanzler Schröder, SPD-Chef Müntefering und die ganze offizielle Politik nur geantwortet haben: Wir lassen uns von der Strasse nicht unter Druck setzen! - hat die Demokratie ad absurdum geführt. Das wird von den rechten Demagogen ausgenutzt.
Seit der EU-Osterweiterung im vergangenen Mai hat sich die Lage weiter verschärft. Die neuen Bundesländer grenzen nun an Gebiete, wo - oft nur wenige Kilometer entfernt - die Arbeitskosten einen Bruchteil der hiesigen betragen. Nicht eine der etablierten Parteien hat eine Antwort auf diese Probleme. Und so kann die NPD die Ängste vor sozialem Abstieg in rassistische und nationalistische Bahnen lenken.
Auch in dieser Frage arbeitet die rot-grüne Bundespolitik direkt in die Hände der Rechten. Anfang des Jahres trat das neue Ausländerrecht in Kraft, das das Grundrecht auf Asyl nahezu vollständig abschafft und es ermöglicht, "aufgrund einer von Tatsachen gestützten Gefahrenprognose" selbst Ausländer, die bereits jahrzehntelang in Deutschland leben, ohne Gerichtsverfahren abzuschieben. "Ausländer raus!", diese politische Parole liegt dem neuen Gesetz zugrunde. Damit hat die Bundesregierung einen zentralen Standpunkt der NPD übernommen und stärkt so deren Einfluss.
Der braune Tradition der Biedenkopf-CDU
Vieles deutet darauf hin, dass die zusätzlichen beiden Stimmen, welche die NPD bei allen wichtigen Abstimmungen im sächsischen Landtag bekommt, von der CDU stammen. Die sächsische CDU war nach der Wende stark von Kurt Biedenkopf geprägt, der von 1990 bis 2002 Ministerpräsident des Landes war. Seine Landesregierung war immer ein Hort rechter Politiker. Das Justizministerium wurde jahrelang von Steffen Heitmann geleitet, der schon 1993 durch fremdenfeindliche Äußerungen in die Schlagzeilen geraten war. Dessen ungeachtet hatte Bundeskanzler Kohl den ostdeutschen Kirchenjuristen damals überraschend zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen.
Heitmann hatte nach einem Besuch Stuttgarts und anderer westdeutscher Städte erklärt, er empfände angesichts des hohen Ausländeranteils "bis zum Bedrohlichen die Fremdheit, die einem entgegenschlägt", und er sei zum Schluss gekommen: "Die Deutschen müssen vor Überfremdung geschützt werden!" Nach Bekanntwerden dieser Äußerungen musste er seine Kandidatur zum höchsten Staatsamt zurückziehen, blieb aber noch weitere sieben Jahre sächsischer Justizminister. Sein Nachfolger Manfred Kolbe kommt aus der bayrischen CSU. Er stammt aus einer sächsischen Familie, die 1959 in den Westen übersiedelte.
In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf Kurt Biedenkopf selbst und seinen politischen Werdegang aufschlussreich. Der Sohn eines NS-Wehrwirtschaftsführers - Vater Wilhelm war im Dritten Reich technischer Direktor des Buna-Werks in Schkopau, das zum I.G.-Farben-Konzern gehörte - promovierte als Jurist und Master of Law. 1967 wurde Biedenkopf Junior, Jahrgang 1930, jüngster Hochschul-Rektor der Bundesrepublik an der Ruhruniversität Bochum. Fünf Jahre später war er bereits Generalsekretär des Bundesvorstands der CDU.
Einer seiner wichtigsten politischen Förderer war Dr. Fritz Ries. Der Industrielle Ries - Mitglied der NSDAP seit 1934 - war nicht nur ein typischer Kriegsgewinnler, der als "Lieferant der Wehrmacht" ein großes Vermögen zusammen raffte. Seine Spezialität bestand darin, die im Namen der "Arisierung" enteigneten jüdischen Betriebe zu übernehmen und anschließend jüdische Zwangsarbeiter darin auszubeuten.
Bernt Engelmann schreibt über ihn: "So beschäftigte er beispielsweise, alleine bei den von ihm ‚übernommenen’ Betrieben der Oberschlesischen Gummiwerke in Trzebinia (Westgalizien), laut einer ‚Gefolgschaftsübersicht’ vom 30. 6.1942, insgesamt 2653 jüdische Zwangsarbeiter, davon 2160 Frauen und Mädchen. Vornehmlich mit deren Hilfe, sprich: rücksichtsloser Ausbeutung, stieg der Umsatz in Trzebinaia... um das Zwölffache!" (Bernt Engelmann, Schwarzbuch: Strauß, Kohl &Co. Köln 1976)
Im polnischen Lodz übernahm Ries einen "arisierten" Großbetrieb mit 15 Walzwerken. Er setzte sich kurz vor Kriegsende, auf der Flucht vor der Roten Armee, mit einem Großteil seines liquiden Vermögens in den Westen ab, was ihn aber nicht daran hinderte, sich nach der Kapitulation als "Vertriebener" zu melden. Unter der Adenauerregierung beantragte er Entschädigung für seine, von der Roten Armee besetzten Werke und erhielt sie auch. Mit dem Geld baute er anschließend die Pegulan-Werke in der Pfalz auf.
Zu den Politikern, die Ries in den Nachkriegsjahrzehnten systematisch förderte, gehörten neben Kurt Biedenkopf auch der zukünftige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß. 1979 heiratete Biedenkopf die Ries-Tochter Ingrid. Beide leiteten nach der Wende die sächsische Landesregierung "wie einen Familienbetrieb", wie Der Spiegel 2001 schrieb.
Die Verbindung der CDU zu rechtsradikalen Kreisen und Faschisten sind also weder neu noch überraschend, und der Aufruf zum Bündnis aller Demokraten gegen Rechts dient nur dazu, eine Politik fortzusetzen, die den Rechten in die Hände arbeitet.
www.wsws.org/de/2005/jan2005/npd-j26.shtml