Karl Nolle, MdL
SPIEGEL online, 19:52 Uhr, 13.02.2005
60. Jahrestag des Bombenangriffs: Aufmarsch der Unanständigen
Aus Dresden berichtet Yassin Musharbash
Auf dem Dresdner Altmarkt haben sich am Abend Tausende Menschen eingefunden. Dort werden Grußbotschaften aus Städten verlesen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie Dresden vor 60 Jahren. Zuvor marschierten rund 6000 Neonazis durch die ansonsten menschenleeren Straßen.
Kerzenbotschaft: Lichter gegen das Vergessen
Dresden - "Liebes Dresden, ich glaube du kennst mich. Mein Name ist Bagdad. Ich habe gehört, dass du wieder gesund bist. Und dass du deine Schönheit zurück erlangt hast." Wie der Brief aus dem Zweistromland werden am Abend auf dem Dresdner Altmarkt Grußbotschaften aus zwölf anderen Städten verlesen, darunter Madrid, Guernica, Hiroschima, Hamburg, Sarajewo, Coventry, Grosny und Warschau. Ein New Yorker Gruppe von Hinterbliebenen der Opfer des 11. Septembers etwa fordert das Leid in ein Handeln für den Frieden umzuwandeln.
Im Schein von Tausenden Kerzen bläst ein Jazzposaunist eine traurige Weise. Die Menschen zünden Kerzen an, zum Gedenken an die vielen Opfer, die heute vor 60 Jahren bei Bombenangriffen der Alliierten in der Stadt an der Elbe ums Leben kamen. Annemarie Müller, Rednerin des Bündnis 13. Februar, sagt: "Wir wollen Nachdenken über die Ursache und Vordenken für eine friedliche Zukunft." Mit den Kerzen haben die Dresdner riesige Buchstaben gebildet: "Diese Stadt hat Nazis satt" schimmert die Botschaft in der kalten Nacht. Oberbürgermeister Ingolf Roßberg sagte: "Mit geistiger Zündelei fangen sie an, und dann brennen wieder die Städte. Nicht noch einmal, nicht wieder!"
Friedliches Gedenken am Altmarkt: "Nachdenken über die Ursache"
Am Nachmittag waren Tausende Neonazis durch die Stadt marschiert. Eine gespenstische Atmosphäre herrschte in der Innenstadt. In irrsinniger Lautstärke hallte durch die Straßen der Elbmetropole ein Klangteppich aus klassischen Trauermärschen vom Band. Ansonsten war kaum ein Geräusch zu hören. Zu sehen dafür umso mehr: Ungefähr 6000 Anhänger der rechtsextremen NPD marschierten auf einer Länge von über einem Kilometer hinter dem Lautsprecherwagen her. Einige trugen Fackeln. Nur gelegentlich durchbrachen Slogans von linken Demonstrantengrüppchen die Geräuschkulisse, und erst am späten Nachmittag gab es eine Gegendemonstration. Vier Stunden lang beherrschten die Rechten das Stadtbild Dresdens.
Ganz vorne marschierten NPD-Chef Udo Voigt und der Fraktionschef der NPD im Sächsischen Landtag, Holger Apfel, eingerahmt von anderen Größen der rechtsextremen Szene: Sowohl der Chef der Deutschen Volks-Union (DVU) als auch der Ex-Vorsitzende der Republikaner, Franz Schönhuber, waren angereist. Ihnen folgten Skinheads ebenso wie Kriegsveteranen, junge Mädchen genau so wie rechtsintellektuelle Verbindungsstudenten. Der Zug war die größte rechtsextremistische Kundgebung in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten, ein immenser Erfolg für die NPD und zugleich ein Beweis ihrer Kampagnenfähigkeit. Von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern waren radikale Rechte aus allen Bundesländern vertreten.
Neonazis in Dresden: Nur wenig Platz für die überlebenden Zeitzeugen
Anlass der als "Trauermarsch" reklamierten Veranstaltung war der 60. Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch britische und US-amerikanische Fliegerverbände. Vollkommen ungeniert nutzten die NPD-Kader diese Gelegenheit, ihre geschichtsrevisionistischen Thesen vom "Vernichtungskrieg" der Alliierten und ihren Slogan vom "Bomben-Holocaust" zu wiederholen, der darauf zielt, die Verfolgung der Juden durch die Nazis zu relativieren. Erst vor wenigen Wochen hatte eine entsprechende Äußerung eines NPD-Abgeordneten im Sächsischen Landtag zum Eklat geführt hatte.
Fortsetzung der NSDAP-Propaganda
Ob Apfel, Schönhuber, Frey oder der rechte Liedermacher Frank Rennecke: Keiner der Redner verzichtete darauf, die vermeintliche "Singularität" der Dresdner Bombenkatastrophe zu beschwören und den Alliierten Kriegsverbrechen vorzuwerfen. Rennecke sang sogar: "Deutschland, Deutschland über alles, und das Reich wird neu erstehen". Franz Schönhuber setzte die Bombardements mit den Vernichtungsaktionen der Nazis gleich: Er könne keinen Unterschied zwischen einem KZ-Aufseher und einem britischen Bomberpiloten erkennen, erklärte er unter Beifall. Ebenso behaupteten alle Sprecher in direkter Übernahme der NSDAP-Propaganda von 1945, in Dresden seien mindestens 200.000 Menschen umgekommen.
Seriöse wissenschaftliche Untersuchungen gehen heute von einer Zahl um 35.000 aus. Das stört die NPD-Mitläufer nicht. Ein Demonstrant begründet seine Teilnahme: "Die Juden haben natürlich jedes Recht, ihre Toten zu beklagen. Aber die Verhältnismäßigkeit sollte schon gewahrt bleiben." Dass die Nazis allein sechs Millionen Juden in Todeslagern ermordet haben, ist für die NPD einfach kein Thema. Nur indirekt spielt es in ihren Ansprachen eine Rolle: Das Gedanken an den Holocaust erklärte Holger Apfel kurzerhand zum "Nationalmasochismus", während er den "etablierten" Parteien vorwarf, für die Erinnerung an die "deutschen Opfer" - für ihn per se ein Widerspruch zu jüdischen Opfern - im "Sühneterminkalender wohl kein Platz frei" sei.
Linker Protest: Den Rechten die Straße nicht überlassen
Akustischen Widerstand gegen den Marsch der Rechtsextremisten leistete die linksextreme anti-deutsche Szene, die den Zug mit Trillerpfeifen und Slogans zu stören versuchte. Einige der Parolen standen denen der NPD indes in nichts nach, was den mangelnden Willen zur Versöhnung angeht: "Bomber Harris - do it again", skandierten sie in Anspielung auf den Befehlshaber der britischen Bomberflotte. Gegen Ende der Marschroute der Rechtsextremisten, hinter der Semper-Oper, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und Marschierenden. Zwei Bierflaschen flogen auf den Zug zu, verletzten aber niemanden. Einige hundert Linke hatten sich hier versammelt. "Wer um Dresden trauert, der trauert um den Nationalsozialismus", stand auf einem Plakat zu lesen, "alles andere kommt von oben" auf einem anderen.
Teil der Frauenkirche geöffnet
Dafür hatten die meisten der Dresdner Bürger ebenso wenig Verständnis wie für den rechten Aufmarsch. Der 13. Februar ist in Dresden und anderenorts schon seit Jahrzehnten Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen. War die Stadt ein kriegswichtiges Ziel? War es gerechtfertigt, vor allem die Innenstadt und die Zivilisten zu bombardieren? Warum überhaupt die Bomben, wo doch der Krieg zu diesem Zeitpunkt schon entschieden war? Zwischen den extremen Rechen, die jede Verantwortung der Deutschen für den Krieg leugnen und die Bombardierung historisch aus ihrem Zusammenhang herauslösen, und der extremen Linken, die nur die deutsche Schuld sieht und kein Gedenken an die Opfer erlauben will, bleibt nur wenig Platz für die überlebenden Zeitzeugen und Hinterbliebenen und für die politisch-unideologische Mitte, ihre Form des Andenkens zu finden.
Ein Versuch dafür war die Gegendemonstration gegen den NPD-Zug, zu dem SPD, PDS, Grüne und Gewerkschaften aufgerufen hatten. Immerhin einige Tausende Dresdner schlossen sich an, "ein Erfolg" wie Omid Nouripour, aus Berlin angereistes Bundesvorstandsmitglied der Grünen betonte. "Die Demokraten in Dresden haben in angemessener Weise reagiert und über Parteigrenzen hinweg eine Großkundgebung auf die Beine gestellt."
Viele Dresdner aber werden erst heute am späten Abend, in aller Stille, der Bombardierung und nahezu vollständigen Zerstörung ihrer Stadt vor 60 Jahren gedenken. Mehrere Zehntausend Menschen werden erwartet, wenn an der Frauenkirche ein flammendes Mahnmal aus Kerzen gebildet werden soll - und wenn erstmals und nur an diesem Tag ein Teil der Kirche wieder zugänglich gemacht wird, die nach den Bombardements am 13. Februar 1945 zusammengebrochen war.
Am Morgen hatte auf dem Heidefriedhof außerhalb des Stadtzentrums die offizielle Trauerkundgebung der Stadt Dresden stattgefunden. Mit Tränen in den Augen standen einige von ihnen, etwas abseits von der offiziellen Zeremonie, und erinnerten sich an den "schlimmsten Tag in ihrem Leben", wie es eine 84-jährige Frau ausdrückte. Dass viele NPDler, die auch bei dieser Trauerstunde zugegen waren, wie zum Hohn den Aufruf der Stadt befolgt und sich als Zeichen der Trauer eine weiße Rose angesteckt hatten, machte sie besonders wütend.
Einer, der seit 40 Jahren an diesem Gedenktag teilnimmt, ist der 62-Jährige Dresdner Rolf Kollbeck. Er hat miterlebt, wie alle möglichen Seiten versuchten das Gedenken an den Bombenangriff für ihre Sache zu vereinnahmen. Dass Dresden sich jetzt in eine Reihe mit zwölf anderen Städten stellt, die ebenfalls unter Krieg oder Terror zu leiden hatten, findet er gut. "Wir sollten uns bewusst sein, dass wir nicht die einzigen sind."