Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 24.02.2005

"Das grenzt an Zynismus"

 
Berlin/Leipzig. In der Debatte um Hartz IV und die steigenden Arbeitslosenzahlen wird der Ton immer schärfer. Deutlich zu spüren bekam das gestern Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA). Einhellig lehnten Parteien, Gewerkschaften, Sozialverbände und Wirtschaftsinstitute seinen Vorschlag ab, ältere Arbeitslose in Ostdeutschland nicht mehr durch seine Behörde zu fördern. Weise will über 55-Jährige zu gemeinnütziger Arbeit heranziehen und ihnen dafür ein Bürgergeld zahlen. "In den neuen Bundesländern können wir vielen Menschen in der derzeitigen Wirtschaftslage kaum etwas bieten", erklärte Weise.

Cornelia Pieper, Generalsekretärin der FDP: "Für viele Menschen im Osten bedeutet Arbeit nicht nur Erwerbstätigkeit, sondern soziale Integration und Zuversicht." Weises Äußerungen seien ein Armutszeugnis und der falsche Weg, sagte Pieper dieser Zeitung. Sachsen und Sachsen-Anhalt hätten versucht, als Modellregionen für Deregulierung und Bürokratieabbau aktiv das Problem zu lösen. "Das hat die Bundesregierung aber abgelehnt." Die deutsche Politik konzentriere sich von den Rahmenbedingungen her viel zu stark auf den zweiten Arbeitsmarkt, statt auf den ersten.

Michael Kretschmer, Generalsekretär der Sächsischen Union, nannte Weises Aussagen einen "ungeheuerlichen Vorstoß" und eine "Beleidigung für die 181.000 Menschen, die älter als 55 Jahre sind". Kretschmer plädierte für die Einführung eines Kombi-Lohn-Modells: Die Hinzuverdienstregeln bei Hartz IV sollten angepasst werden, um Langzeitarbeitslosen mehr Eigenständigkeit zu ermöglichen.

In diese Richtung denkt auch Sachsens Landeschef Georg Milbradt (CDU). Um mehr Menschen am Arbeitsleben teilhaben zulassen, sollten die Zuverdienstmöglichkeiten für Hilfeempfänger erweitert werden. Weises Vorstoß grenze hingegen "an Zynismus". Offensichtlich wolle sich die Agentur nur die Arbeitssuchenden mit guten Chancen herauspicken.

Schelte gab es auch von Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender der Grünen: "Ich gehe davon aus, dass der Chef der Bundesagentur für Arbeit genug unerledigte Aufgaben hat, um die er sich kümmern sollte, statt sich unanständig auf diese Art in die Arbeitsmarktpolitik einzumischen."

Die Volkssolidarität sieht in Weises Forderung das verspätete Eingeständnis, "dass die traditionelle Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland schon lange nicht mehr greift". Für ältere Menschen in den neuen Ländern bestätige sich nun, was sie schon lange befürchten: "Für die Politik hat sich der Osten erledigt", sagte der Bundesgeschäftsführer Bernd Niederland dieser Zeitung. Der Verband kann sich allerdings mit der Idee eines Bürgergeldes für gemeinnützige Arbeit anfreunden. Schließlich seien auch Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen (ABM) "lange Jahre ein legitimes Mittel gewesen, um Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden". Die Volkssolidarität schlägt ein Bürgergeld in Höhe eines Mindestlohns von 1400 Euro vor.

Kritik an Weises Vorschlag übte auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). "Es wäre eine verheerende Botschaft, wenn älteren Arbeitslosen erklärt wird, dass sie nicht mehr gebraucht werden", sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer. Das eigentliche Problem sei, dass Arbeit-geber zunehmend ältere Arbeitslose links liegen lassen. "Wir fordern die Unternehmen deshalb auf, die vielen Erleichterungen, die zur Einstellung Älterer geschaffen wurden, endlich auch zu nutzen."

Vor einer neuen Ost-West-Debatte, warnte indes Sachsens Wirtschaftsminister Thomas Jurk (SPD). "Hohe Arbeitslosigkeit ist ein gesamtdeutsches, kein rein ostdeutsches Problem." Die Bundesagentur habe zugesagt, dass sie nicht nur fordern, sondern auch fördern wolle. Daran müsse sie sich halten.

Ungeachtet der Diskussionen sprach sich Christel Hummel (SPD), Vorsitzende der Arbeitsgruppe Senioren der SPD-Bundestagsfraktion, gestern in einem Expertengespräch dafür aus, die Fähigkeiten älterer Arbeitnehmer besser zu nutzen. "Wenn wir heute die Weichen richtig stellen, wird das Alter immer mehr zu einer Lebensphase, die für immer mehr Menschen mit Gesundheit, Teilhabe und Zufriedenheit verbunden sein wird - eine Lebensphase eben, die voller Potenziale steckt."

Auf Grund der heftigen Kritik vor allem auch aus dem Bundeswirtschaftsministerium, knickte Weise gestern ein. Auch künftig werde die BA ältere Arbeitslose in Ostdeutschland betreuen, hieß es aus Nürnberg.
Maja Zehrt/Andreas Dunte